museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2004
Gegen das dualistische Denken und für Notwendigkeit und Zufall
15.09.2004
Ein gängiges Denkschema über das Funktionieren der Natur ist: wie es die Menschen und die staatlichen Gesetze und Vorschriften gibt, denen sie zu folgen haben, ebenso gibt es die materiellen Dinge und die Naturgesetze, denen sie unterliegen. Diese Naturgesetze sieht man entweder als von Gott den Dingen auferlegt oder mit dem Urknall "entstanden" an. Da gilt es schon als unkonventionell, wenn Nobelpreisträger Gerd Binnig die Gesetze sich mit dem expandierenden und abkühlenden Universum entwickeln sieht. Und wer ohne Gott auskommt und der Materie die Fähigkeit zur Selbstorganisation einräumt, hat möglicherweise trotzdem im Hinterkopf die Vorstellung, dass dies nach irgendwelchen Gesetzen geschieht und nicht einfach eine Folge der materiellen Struktur der Dinge ist. Meine These lautet: Naturgesetze sind Ausdruck des Soseins der Natur.
Die dualistische Welterklärung nach dem Schema menschlicher Herrschaft ist nur schwer abzulegen, weil der Mensch – in Ermangelung eines objektiven Wissens – immer von sich auf andere schließt, also vom Bekannten auf das Unbekannte. Und indem er das Unbekannte sich dadurch anverwandelt, glaubt er dann, es zu verstehen. Daher ist der Gedanke wenig populär, weil beunruhigend, dass das Wechselspiel der materiellen Dinge durch ihre eigene Natur bestimmt wird, also ursächlich ist–denn man denkt bei solcher Ungebändigtheit doch instinktiv: wo kämen wir da hin, wenn jeder macht, nach was ihm gerade zumute ist.
Dabei gibt uns die an der Erfahrung unzähliger Generationen abgeschliffene Sprache mit dem Begriff der "Ursache" und des "Ursächlichen", schon einen hervorragenden Hinweis darauf, wie es sich wirklich verhält: Die Ursache ist das, was in der Wechselwirkung aus den Sachen selber kommt. Das Geschehen ist daher geprägt von Notwendigkeit und Zufall: notwendig verhalten sich die Dinge gemäß ihrer eigenen Struktur.
Doch welche Dinge unter welchen Umständen zusammentreffen und was sich daraus ergibt, ist – infolge fehlender Lenkung – zufällig. "Zufällig" heißt "ungeplant", nicht mehr und nicht weniger! Und diesen Gedanken der Zufälligkeit eines Zusammentreffens mit der Offenheit seines Ergebnisses und die Tatsache der nicht restlosen Aufklärbarkeit von ungestörten Anfangszuständen im Quantenbereich und die daraus sich ergebende Unschärfe der Prognose können deterministische Denker nicht ertragen, die deshalb einer ewigen vorausbestimmten (göttlichen) Ordnung bzw. sogar dem permanenten Einwirken Gottes den Vorzug geben, auch wenn sie nicht unserer Lebenserfahrung entspricht. Ein Gemeinwesen, das sich fatalistisch dem Gang der Dinge hingibt, beraubt sich der Fähigkeit, seine Zukunft in vernünftiger, d.h. der Situation angemessener Weise selbst zu gestalten, weshalb der Kampf gegen die Prediger des Determinismus uns alle angeht.