museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2004

Was entscheidet über die Sicherheit unseres Wissens?

15.10.2004

Die Naturwissenschaft gehört zur Geschichte der Idee des "sicheren Wissens". Sie war und ist vom Optimismus getragen, durch Beobachten und Nachdenken ein "sicheres" Wissen über die Mechanismen des Naturgeschehens zu gewinnen. In diesem Drang ist es den Wissenschaftlern gelungen, auf vielerlei Wegen viel Wissen anzuhäufen. Unklar ist dabei geblieben, was letztlich die Sicherheit eines Wissens ausmacht. Das sicherste Wissen als Ergebnis physikalischer Forschung ist die fundamentale Erkenntnis über den Grad der Unsicherheit unseres Wissens über Ort und Geschwindigkeit eines Teilchens, Heisenbergs Unschärferelation. Die Unschärferelation ist der forscherischen Intention derart entgegengesetzt, dass sie a) für den Skeptiker glaubwürdig ist, weil ausgeschlossen werden kann, dass es sich bei ihr um das Ergebnis eines Wunschdenkens handelt, b) für die deterministische Fraktion der Physiker inakzeptabel bleibt. Wegen ihres starken Objektivismus hält die Fraktion darüber hinaus die Unschärfe nicht für eine Eigenschaft des Wissens, sondern für eine der Quanten, weshalb sie nicht aufhört, über die angebliche Verletzung der Kausalität durch die Quantenmechanik zu klagen, was jedoch scheinheilig ist, da es den Deterministen nicht um Kausalität = Selbstbestimmung, sondern um Determination = Fremdbestimmung geht.

Wissen ist immer ein Mittleres. Nur dadurch kann es zum Mittler zwischen Objekt und Subjekt werden. Ein "objektives Wissen" wäre ein Widerspruch in sich. Wissen bildet die Realität nicht ab, wie der naive Realist meint. Es ist keine Verdoppelung einer fremden und damit auch fremd bleibenden Realität. Sondern Wissen ist das Ergebnis der Anverwandlung der fremden Realität an die eigene. Durch umfassende Aneignung auf uns hereinströmender Daten werden wir in die Lage versetzt, mit dem fremden Gegenüber mental und real einen vertrauten Umgang zu pflegen.

Das beste Beispiel hierfür ist der lange Zeit herrschende Animismus. Das Geistige hat eine ihm eigene Kompetenz, die es auf Einflüsse von außen - wie bei allen Lebensvorgängen - autonom nur nach der eigenen Struktur reagieren lässt. Weil die Allgemeinbegriffe nur in unserem Kopf existieren, kann die Frage nach der "Wahrheit" allgemeiner Sätze im Sinne eines Beweises überhaupt nicht greifen. Hier ist für die Richtigkeit von Sätzen nur die eigene Verständigkeit Maßstab. So auf unsere kognitiven Fähigkeiten zurückverwiesen, müssen wir von diesen ausgehen und von ihnen her bestimmen, welches Wissen für uns möglich und akzeptabel ist. Ein solches Wissen wäre eben mehr als ein "Vermutungswissen" (Popper), setzten wir doch seine Bedingungen rational einsichtig selbst. Akzeptabel ist für mich nur ein Wissen, wenn es vor dem Forum der Vernunft besteht, denn die abwägende Vernunft ist unser höchstes Vermögen.

Mit einem geringeren Kriterium sollten wir uns nicht begnügen. Als Inhaber dieses Vermögens müssen wir die Selbstverantwortung für unser Wissen erkennen und übernehmen. Wir können sie nicht allein wissenschaftlichen "Beweisen" aufbürden, die ja immer nur Hinweise im Kontext der gestellten Frage sind, in der Hoffnung, der Verantwortung für unser Sagen zu entkommen. Wäre allein die Plausibilität von "Erklärungen" von Fakten Maßstab für Richtigkeit, wäre die Wissenschaft Freibrief für Absurdes, denn Erklärungen sind beliebig, wenn sie nur den Zeitgeist treffen und so ein Publikum finden. Da kann es wissenschaftlicher sein - z.B. aufgrund der unstrittigen Erfahrung vom Vorliegen der Schwerkraft - nur ein mathematisches Konzept zu entwickeln, um mit dem Faktum in brauchbarer Weise umgehen zu können, wie einst Newton, im übrigen jedoch mit ihm zu sagen: "hypotheses non fingo" (Hypothesen erfinde ich nicht).

Zum Weiterlesen:

http://www.helmut-hille.de/kausal.html

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