museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2004

Sehnsucht nach Wundern

15.12.2004

Der Wunderglaube wird von sich für aufgeklärt haltenden Menschen pauschal als ein geistiger Rückstand angesehen. Auch wenn es sicher naiv ist anzunehmen, ein gütiger Gott als Herrscher des Universums würde zugunsten von Menschen da und dort einmal die Naturgesetze für einen Moment außer Kraft setzen, so verstehe ich die Sehnsucht nach Wundern als Sehnsucht nach transzendenten Wahrheiten in der richtigen Erkenntnis, dass unser ödes naturalistisches Tatsachenwissen nicht alles sein kann.

Es ist eben nur ein Wissen für unser begrenztes Verstehen. Aber in ihren Herzen fühlen viele Menschen ganz richtig, dass es da noch mehr geben muss, weshalb von der Weihnachtsbotschaft selbst für Ungläubige ein geheimer Glanz ausgeht. Und wenn man zum Fest etwas geschenkt bekommt, ist das Geschenkte eben nicht ein berechnetes Entgelt für eine bestimmte Leistung, sondern eine die gewohnte Ordnung durchbrechende freiwillige Gabe aus Liebe, die jene Allliebe spiegelt, die unser Leben trägt und die für mich der zeitlose Kern der christlichen Botschaft ist.

Und ist nicht auch die Welt des Wissenschaftlers voller Wunder? Je mehr er wirklich weiß, umso mehr muss er erkennen, wie vieles unerklärbar ist und bleibt. Ist nicht allein die Tatsache, dass es die Welt gibt, ein Wunder? Ist das Leben nicht ein Wunder? Und bin nicht auch ich ein Wunder? Aber ist nicht schon die Schwerkraft ein Wunder? Niemand hat sie je gesehen, doch sie hält die größten kosmischen Gebilde zusammen. Ohne sie gäbe es keine Sonnen, keine Planeten und damit kein Leben. Man kann sie zwar gut berechnen, ohne dass die Art ihres Wirkens dadurch erklärlicher wird.

Newton war weise, daher wollte er über sie keine Hypothesen erfinden, weil sie eben alle eingeübten menschlichen Erklärungsmuster übersteigt. Wer immer annimmt, die Wissenschaft könnte eines Tages alles erklären, ist genauso naiv und abgestumpft gegen die uns umgebenden realen Wunder wie jene, die immer auf Wunder warten. "Wir wissen, wie sich das Licht bricht, aber das Licht bleibt ein Wunder. Wir wissen wie die Pflanze wächst, aber die Pflanze bleibt ein Wunder. So ergeht es uns mit allen Dingen auf dieser Welt: Wir besitzen viele Kenntnisse – doch die Schöpfung bleibt ein Wunder." (Albert Schweitzer)

 

Zum Weiterlesen:

 

http://www.helmut-hille-philosophie.de/wunder.html

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