museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2007

Gadamer und das hermeneutische Problem I

15.09.2007

Die Lebendigkeit eines Dialogs entsteht durch die unmittelbare Anwesenheit der Diskutierenden, die voll aufeinander eingehen und ihre Aussagen durch ihre Körpersprache unterstützen. Bekanntlich kann ja ein Blick oder eine Geste mehr über die Befindlichkeit eines Sprechers besagen als "tausend" Worte, ist doch die Körpersprache unsere ursprüngliche Sprache, zu der auch das Abgeben von Lauten gehörte. Den lebendigen Dialog zeichnet auch aus, dass die Möglichkeit des Eingreifens besteht, bevor aufkommende Missverständnisse sich ausbreiten. Vom dialogischen Charakter der Sprache ausgehend, in der sich der Sprecher explizit mitteilen will, bezeichnet Hans-Georg Gadamer in "Text und Interpretation" (1983)* den

"sokratischen Dialog als die Grundform des Denkens". Weiter heißt es bei ihm u.a.: "Was beim Sprechen herauskommt, ist nicht eine bloße Fixierung von intendierten Sinn, sondern ein sich beständig wandelnder Versuch oder besser, eine ständig sich wiederholende Versuchung, sich auf etwas einzulassen und sich mit jemanden einzulassen. Das aber heißt, sich aussetzen." Der Möglichkeit des Missverständnisses eben, weshalb wir der Kunst der Hermeneutik bedürfen. In seinen Reden und Schriften wird Gadamer nicht müde nachzuweisen, dass die Hermeneutik ein universales Problem ist, das sich nicht auf einige wenige Sparten geistiger Tätigkeiten beschränkt, wie der Übersetzung in andere Sprachen und der Auslegung heiliger Schriften oder juristischer Texte.

 

* Zitate aus "Gadamer Lesebuch" UTB, Tübingen: Mohr 1997

 

Ausgezeichnet.org