museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2007
Gadamer und das hermeneutische Problem III
15.11.2007
Der Umstand, dass Empfindungen und Gedanken eines an Materie gebundenen Zwischenreiches aus Körperhaltungen, Gesten, Mimik, Zeichen, Symbolen und Metaphern bedürfen, um anderen mitgeteilt werden zu können, ist der Ursprung des hermeneutischen Problems. Gegenüber den meisten Tieren, die sich, abgesehen von der Körpersprache, nur durch Laute, z. B. durch Warnlaute, ggf. ergänzt durch die Blickrichtung, mitteilen können, hatten und haben die Hominiden den Vorteil, zusätzlich mit der Hand auf das Gemeinte, z. B. ein Raubtier als Gefahrenquelle, deuten zu können und dadurch das lautlich Gemeinte zu verdeutlichen. Auf diese Weise wurde in der Geschichte der Hominiden das Deuten mittels Handzeichen der Beginn der Hermeneutik und möglicherweise auch des Menschseins. Doch gleich ob Körpersprache, Gestik, Mimik, Handzeichen, Symbole oder Worte - immer haben wir es mit einem Sprechen zu tun. Also muss es auch etwas davon Verschiedenes geben, über das gesprochen wird. Das weist darauf hin, dass es vor aller Sprache eine rein mentale Ebene der Bedeutungen und Sinngehalte gibt, in der das Individuum bei sich selber ist. Diese Bedeutungen und Sinngehalte hör- oder
sichtbar und damit auch diskutier- und prüfbar zu machen ist die größte Herausforderung der Hermeneutik, nennen wir sie Kunst, Dichtung, Literatur, Religion, Mystik, Wissenschaft oder Philosophie. Diese Hervorbringungen sind der immerwährende Versuch der Erhellung und Vermittlung dessen, was Menschen geistig-seelisch, also im Innersten bewegt. Steinzeitliche Felsenbilder, Skulpturen und Höhlenmalereien sind die ältesten uns bekannten menschlichen Versuche, Eindrücke/Deutungen darzustellen und festzuhalten. Und da Eindrücke etwas sehr Persönliches sind, kann alle Deutung nicht ohne den Deutenden verstanden werden. Für uns heißt das: alle Deutung spiegelt zuerst einmal das Vorwissen, das Können und das geistige Niveau des Deutenden, aber auch sein Interesse und den Zeitgeist. Das sind zwar immer wieder andere, aber nicht aufzuhebende Grenzen aller Hermeneutik, die sie zu einer immerwährenden Aufgabe machen.
* Zitate aus "Gadamer Lesebuch" UTB, Tübingen: Mohr 1997