museumsart Kolumne
Helmut Hille
Aphorismen + Sentenzen 2005
Zelle und Monade
15.10.2005
Das Leben beginnt mit einer Zelle und entwickelt sich zu einem Zellverband. Mit der Zelle grenzt es sich gegen die Umgebung ab. Und das ist auch schon sein Problem mit der Umgebung: es weiß nichts von ihr. Seine eigenen Informationen dagegen sind mit den Genen im Zellkern gespeichert. Sie ermöglichen alle Interaktionen zur Aufrechterhaltung und Vervielfältigung des Organismus. Und solange das Erbgut brauchbar und die Umgebung stabil ist, wird es dem Lebewesen gelingen, sich zu behaupten. Das gilt auch für alle Erkenntnis. Auch erkenntnismäßig sind wir in einer Zelle eingeschlossen. Giordano Bruno, Goethe aber insbesondere Leibniz haben das Individuum daher als "Monade", d.h. als eine in sich geschlossene Ureinheit verstanden. Den biologischen Begriff der Zelle als Ureinheit gab es zu ihrer Zeit noch nicht. Die Monade weiß wie die Zelle primär nichts von ihrer Umgebung. Doch sie hat Fenster, die Sinnesorgane, und durch die trägt sie ihr nützliche Hypothesen an die Umgebung heran. Und soweit sie sich bewähren, hält sie sie für "wahr": wahr ist, was sich bewährt.
Um nun aber nicht in einem Chaos von Hypothesen und Wahrheiten zu versinken, wird das Bewährte miteinander verglichen und geordnet. Einige Menschen versuchen daraus unter einer Idee eine in sich schlüssige Theorie über die Umgebung zu entwickeln.
Doch auch Theorien sind nur insofern wahr, als sie sich bewähren. Das ist für den Verstand sehr unbefriedigend, der doch zu gern Gewissheit in Form einer absoluten Wahrheit hätte.
Aber es ist eben Weisheit zu erkennen, dass es keine absoluten, sondern "nur" bewährte Wahrheiten gibt.
Ein Ausweg scheinen da für viele „offenbarte“ Wahrheiten zu sein, wozu man aber zuerst entweder an eine überirdische Intelligenz (Gott) oder an einen der eigenen Intelligenz überlegenen "Meister" glauben muss. Aber auf Dauer werden offenbarte Wahrheiten auch nur dann geglaubt, soweit sie für die Lebensführung oder zumindest für das eigene seelische Wohlbefinden hilfreich sind, denn als Wesen, das um seine Endlichkeit weiß, sucht man Verbindung zu etwas, was ewig währt. Freilich für das von der Erfahrung abgeschirmte "jenseitige" oder, wie die Philosophen sagen, "transzendente" Sein sind Annahmen beliebig, und wir sollten sie nicht zu ernst nehmen. Und uns wegen solcher nicht überprüfbaren Glaubensfragen die Schädel einschlagen, sollten wir schon gar nicht. Besser ist es da, auf die Wahrheiten des Herzens und des Lebens zu hören. "Wer das Leben nicht ernst nimmt, dem wird es seinen furchtbaren Ernst zeigen." (Laotse)