museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2006

Wie das Gehirn unsere Welt konstruiert

15.04.2006

Kritische Erkenntnistheoretiker sagen, dass unser Weltbild ein Konstrukt des Gehirns ist, ohne dies immer ausreichend darstellen zu können. Für das Konstruieren gebe ich hier Beispiele, die auf meiner 2. Website ZEIT UND SEIN in bündiger Form als Text [18] zu finden sind.

Der Ursprung von Raum und Zeit

Physiker sagen heute so salopp, Raum und Zeit wären beim Urknall "entstanden", als handle es sich um materielle Dinge wie Teilchen oder Strahlung. Richtig ist, dass komplexe Lebewesen ein raumzeitliches Erleben haben, welches jedoch erst durch die Art der Wahrnehmung und ihrer Verarbeitung entsteht: Die etwas unterschiedlichen Wahrnehmungen der zwei Augen bzw. Ohren werden durch das Gehirn zu einem einzigen Bild bzw. Hörbild verarbeitet, wodurch sich erst der räumliche Eindruck ergibt. Ferner hat die Einheit des Augenblicks eine gewisse Dauer, bis ca. 3 Sekunden, in der Eindrücke gesammelt, überlappt und dabei zu einem einzigen Eindruck miteinander verbunden werden, der uns dann schnelle Veränderungen als "Bewegung" signalisiert. Auf diese Weise haben wir ein einheitliches raumzeitliches Erleben, darauf abgestimmt, ein Überleben unter Bedrohung zu ermöglichen.

Doch sind wir deshalb berechtigt zu sagen, dass Raum und Zeit real sind oder dass es gar eine Raumzeit gibt? Haben wir denn nicht gerade erst bemerkt, was das Gehirn alles leisten muss, um den raumzeitlichen Eindruck überhaupt erzeugen zu können? Und ohne die Vergleichsmöglichkeit nacheinander eintreffender Daten durch das Erinnerungsvermögen wüssten wir nichts von Raum, Zeit und Bewegung, und hätten wir keine Wahrnehmung von Worten, Sätzen und Melodien, weil alle Laute und Zeichen nur unverbunden hintereinander registriert werden würden. Erst ihre kontinuierliche Verbindung durch den Wahrnehmungsapparat schafft jene Welt, die wir kennen!

Die neuronale Entstehung raumzeitlichen Erlebens im Kopf können wir überprüfen und sie wurde von Hirnforschern auch geprüft und vermessen. Und Schädigungen des Hirns zeigen wie abhängig unsere Eindrücke von einzelnen Hirnregionen sind! Fallen die Areale aus, die im Hirn für den Bewegungseindruck verantwortlich sind, dann hat der Geschädigte eben keinen! Daher halte ich die Realitätsbehauptung einer Raumzeit für Metaphysik - jenseits der Erfahrung liegend, die zwar hinterfragbar, aber nicht hintergehbar ist.

Die genannten Mechanismen der Wahrnehmung machen Techniker sich zu nutze, indem sie zum Beispiel, wie beim Daumenkino, durch den schnellen Wechsel von (Stand-)Bildern den Bewegungseindruck erzeugen, der Grundlage von Film und Fernsehen ist, wobei die einzige echte Bewegung im Film, der Bildwechsel, so gehalten wird, dass er gerade nicht wahrgenommen werden kann. Oder indem sie zweidimensionale Bilder so gestalten oder zeigen, dass im Gehirn ein dreidimensionaler Eindruck entstehen kann. Diese Techniken widerlegen ebenfalls die naive Behauptung, dass die Wahrnehmung ein bloßer Spiegel der Außenwelt sei und nicht ein Konstrukt des Gehirns. Das Gehirn hat in der Evolution gelernt, weise zu sein, das heißt mit seinem Nichtwissen in zweckmäßiger Weise umgehen zu können. Doch viele von uns haben noch nicht gelernt, seine Weisheit zu erkennen und reden töricht so daher, als brauchten und gebrauchten sie kein Gehirn. Daher ist die Philosophie als "Liebe zur Weisheit" aufgefordert, sie zu vermitteln.

 

Zum Weiterlesen:

s. auch ZEIT UND SEIN auf http://www.helmut-hille-philosophie.de,

Text (18): "Der Ursprung von Raum und Zeit"

 

 

 

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