museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2010
Evolution contra Schöpfungsglaube? I
15.01.2010
Es ist m.E. falsch, zwischen der Idee der Evolution und den Aussagen der Bibel einen absoluten Gegensatz zu sehen. Im Gegenteil! Wie vieles in ihr, äußerten sich ihre Autoren in Gleichnissen, die auf das Verständnis und das Wissen ihrer damaligen Hörer abgestellt sind. "Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde." Kosmologen sehen das noch immer so, dass das Universum einen nicht erklärlichen Anfang hatte. Die 6 Tage, an denen nach Aussage der Bibel Gott die Welt schuf, sind dabei die gar nicht so falsch gesehenen kosmologischen und geologischen Epochen. Es wird doch niemand ernstlich glauben, dass mit ihnen unser 24-Stunden-Tag gemeint ist. "Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis war über der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über den Wassern." Wie Wasser ganz richtig als Voraussetzung allen Lebens gesehen wurde, so wurde auch richtig verstanden, dass eine schöpferische Potenz hinzukommen muss, damit Leben entstehen kann, sei es in der "Ursuppe" und/oder in den Tiefen des Wassers, den Hydrothermalquellen.
Denn Leben als emergente Eigenschaft der Materie bedient sich der Materie, kann also mit ihr allein nicht erklärt werden. Und steht nicht auch im ersten Buch Mose: "Und Gott sprach: Die Erde lasse Gras hervorsprossen, Kraut das Samen hervorbringen, Fruchtbäume, die Frucht tragen nach ihrer Art." Und es steht auch: "Die Erde bringe hervor lebendige Wesen nach ihrer Art: Vieh und Gewürme und Getier der Erde nach seiner Art." Freilich war das Zutrauen zur Erde nicht sehr groß, weshalb es anschließend heißt, dass Gott das Getier und Vieh dann doch lieber gleich selber machte. Aber was heißt das schon, dass Gott etwas "machte"??? Und wie "machte" er es denn? Wenn es im ersten Buch Mose heißt, dass Gott Adam aus dem Staub des Erdbodens bildete, dann ist das m.E. nur die Kurzfassung der gesamten biologischen Evolution. Und musste nicht auch Gott auf Adams DNA in Form einer Rippe zurückgreifen, um aus ihr ein verwandtes Wesen machen zu können?
Arbeitet die Evolution des Lebens nicht ganz ähnlich, vorhandene Ressourcen ökonomisch immer wieder nutzend? Machen heißt doch nur, dass eine ewige Potenz existiert, die damals wie heute alles bewirkt. Und sie ist in den Dingen! Und wenn der "intelligente Designer" wirklich intelligent war, dann hat er sich entlastet und andere für sich arbeiten lassen, wie das große Chefs immer noch tun. Besser aber noch: die Evolution ist selbst jene große Intelligenz, für welche, im Gegensatz zum Menschen, weder die Zeit noch die Zahl der Objekte eine Rolle spielt, da ihr Vorrat an beiden unendlich ist, die einfach durch Emergenz immer neue Möglichkeiten eröffnet, ohne das da von außen etwas mühsam gesteuert werden muss.
Der Zufall ist so kein Zufall, sondern er liegt im Gesetz der großen Zahl begründet, das alles irgendwann und irgendwo ermöglicht, ohne dass da jemand lenkend eingreifen muss. Und wenn die Bibel für Adams Seele und Geist den Odem Gottes bemüht, dann trägt sie dem Rechnung, dass beide als emergente Eigenschaft rein materiell nicht erklärt werden können. Gerade eine Emergenz bedenkende Wissenschaft lässt uns die genannten Aussagen des ersten Buch Mose als erstaunlich sinnvoll verstehen. Umgekehrt sind sie daher auch nicht als Argumente gegen die Erkenntnisse der Wissenschaft über die Entwicklung des Lebens geeignet - soweit diese undogmatisch sind.
Dass Anfänge nicht völlig aufgeklärt werden können, ist kein Gegenargument, sondern ist im Wesen von Emergenz begründet, deren Ergebnis aus den beteiligten Wirkpartner nicht abgeleitet werden kann. Alle Anfänge liegen notwendig im schöpferischen Dunkel. Das kreative Moment des emergenten Prozesses ist die eigentliche, nicht aufhebbare Unschärfe aller Forschung, was auch von Forschern noch nicht immer verstanden wird.
Helmut Hille