museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2010

Konrad Lorenz als Theoretiker

15.07.2010

Jeder, der schon einmal im Fernsehen Konrad Lorenz im Umgang mit seinen Graugänsen gesehen hat, hat auch Seewiesen gesehen, auf dessen Gelände Lorenz mit den Gänsen nach dem Kriege experimentierte. Da er beim Schlüpfen der Graugänse das erste lebendige Wesen war, das die Küken zu sehen bekamen, waren sie auf ihn geprägt und folgten ihm. Mit Konrad Lorenz und seinen Gänsen wurde so auch das Max-Planck-Institut für vergleichende Verhaltensforschung in Seewiesen in Oberbayern weit über Deutschland hinaus bekannt. Die Gemarkung Seewiesen liegt zwischen Starnberger und Ammersee versteckt in einem Waldgelände und man musste damals schon eine gute Karte haben, um hinzufinden. Aber es war kein Problem, das Gelände zu besichtigen. Vorn am Eingang war ein Teich, in dem Hunderte von Fröschen laut quakten. Sie tauchten erst weg, als ich einen kleinen Stein hineinwarf. An den Gebäuden konnte ich ablesen, wer dort arbeitete. Konrad Lorenz und die Gänse aber bekam ich natürlich nicht zu Gesicht.

Konrad Lorenz, Anfang des Krieges an der Universität Königsberg lehrend, griff damals eine These von Kant auf, wonach uns unsere Erkenntnismechanismen "a priori", also von vornherein gegeben wären, wie die Unterscheidung von Raum und Zeit. Lorenz setzte dem entgegen, dass diese Mechanismen sich während der Evolution entwickelt hätten z.B. als Antwort auf das Problem der Orientierung von Lebewesen. Er wurde so einer der führenden Begründer der Evolutionären Erkenntnistheorie.

So richtig der Ansatz dieser Theorie ist, so fehlte es ihr aber an grundsätzlichen Überlegungen, die man philosophische nennt, weshalb sich die Theorie letztlich mit einem "hypothetischen Realismus" begnügen musste, der beruhigend davon ausgeht, dass die Dinge schon so sein werden, wie sie uns erscheinen, was jedoch nur eine neue Variante des naiven Realismus ist.

Da waren die chilenischen Biologen Maturana und Varela schon von anderem Kaliber. Sie hatten erkannt, dass Lebewesen selbstreferentielle Systeme sind, die gelernt haben, mit den Signalen der Außenwelt nach ihren Bedürfnissen zweckmäßig umzugehen, denn nur diese Fähigkeit konnte die Evolution selektieren. Sie haben unser Erkennen mit dem Steuern eines U-Bootes verglichen, wo auf bestimmte Anzeigen der Instrumente hin die zugehörigen, an der Erfahrung orientierten Entscheidungen getroffen werden müssen. Mehr ist nicht erforderlich. Wahr ist dem Menschen auf diese Weise, was sich bewährt, was ja nicht die schlechteste Art von Wahrheit ist. Alle theoretischen = geistigen Wahrheiten dagegen sind Wahrheiten aus 2. Hand, die sich an geistigen Kriterien wie der Logik orientieren, aber viel zu oft auch am Zeitgeist, die sich letztlich aber auch in der Praxis bewähren müssen, um auf längere Zeit zu bestehen zu können.

Zum Weiterlesen siehe

http://www.helmut-hille.de

Meine Buchsprechung zu Maturanas Buch "Was ist erkennen?" 3. Text auf III/4 in WEGE DES DENKENS, "Anmerkungen zu Schriften über Erkenntnistheorie".

Helmut Hille

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