museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2010

Wozu 2 Gehirnhälften?

15.12.2010

Schon die einfache Tatsache, dass Menschen (wie andere höher entwickelte Lebewesen auch) zwei Gehirnhälften mit unterschiedlichen Funktionen haben, gibt den entscheidenden Hinweis, wie das Gehirn funktioniert. Die rechte Hirnhälfte ist dabei der Sitz des durch Erfahrung und Belehrung gewonnen Wissens, das dort jedoch zumeist nicht im Detail vorliegt, sondern aus ökonomischen Gründen zu einem Weltbild verarbeitet ist, quasi als hätte man aus Platzersparnisgründen eine große Zahl zu einer kurzen Quersumme verrechnet. Sie ist dabei Sitz des Unbewussten, das sich durch undifferenzierte Gefühle zeigt. Nach den Erkenntnissen der Hirnforscher ist die linke Gehirnhemisphäre Sitz der analytischen Fähigkeiten. Sie hat es mit Bewusstsein, Denken und Sprechen zu tun. Sie ist zuständig für die Objektebene mit ihren Oberflächen- und Zeitstrukturen, also mit den Details, die sie jedoch nicht selbst besitzt. Sie ist bemüht, das links explizit auszudrücken, was Menschen rechts implizit zu wissen glauben. Denken ist so der Dialog zwischen den beiden Hirnhemisphären.

Wenn wir als Ergebnis des Denkens den Eindruck haben, dass verbaler Ausdruck - das explizit Gesagte oder Geschriebene - und das implizite Gewusste im Gleichgewicht sind, sind wir geneigt, es für "wahr" zu halten. Das ist zwangsläufig so, sind lebende Systeme doch unvermeidlich auch kognitiv autonom, also selbstreferentiell, auch in ihrem Urteilen, weshalb der Grund einer Wahrheitsempfindung nicht in einer äußeren, sondern in einer inneren Übereinstimmung zu suchen ist, denn niemand kann etwas für wahr halten, was er nicht weiß oder zu wissen glaubt oder was sich nicht aufgrund seines Wissens als Folgerung ergibt. Das kognitive System der beiden Hirnhälften ist für uns die Waage der Welt.

Für dieses System steht seit altersher das Bild der Göttin der Gerechtigkeit, die Justitia, mit der Waage in der hocherhobenen Hand, die mit verbundenen Augen - also rein geistig! - die Wahrheit erwägt. Das positive Recht ist so das Abbild unserer geistigen Situation: Urteile werden erwogen. Einmal durch das Urteil des Richters, was er aufgrund seiner rechts abgespeicherten  Lebenserfahrung nach Vernehmung der Zeugen und Gutachter für faktisch gegeben hält, und danach, wie diese Fakten aufgrund des ihm gegenwärtigen Strafrechts zu bewerten sind (er kann also auch durchaus mal Paragraphen übersehen).

Es ist daher Illusion zu glauben, Menschen könnten sich bei ihren Urteilen auf eine außerhalb von ihnen liegende Instanz berufen. Das ist nur ein Trick des Gehirns, das sich nicht in seine Karten schauen lassen will, um weiterhin ungestört schnell urteilen zu können. Und viele fallen immer noch auf diesen Trick herein, auch Philosophen, oder haben nicht den Mut, sich zu ihrer Autonomie zu bekennen, um nicht für ihr Reden und Tun zur Verantwortung gezogen zu werden. Sie berufen sich lieber auf Autoritäten oder irgendwo gewonnene "Beweise", für die sie ja nicht verantwortlich sind, und ersparen sich auch noch selber zu denken. Das ist dann auch noch sehr ökonomisch.


Helmut Hille

Zum Weiterlesen:

Text [4] auf ZEIT UND SEIN "Welche Wahrheit hätten Sie denn gern?"

 

http://www.helmut-hille-philosophie.de/wahrheit.html

Ausgezeichnet.org