museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2011
Die Schwerkraft verstehen
15.03.2011
Weil die Schwerkraft, die uns am Boden hält, wie selbstverständlich da ist, machen wir uns nur wenig Gedanken über sie. In der Antike verstand man das scheinbare Kreisen der Gestirne um die Erde als Ausdruck der Liebe zwischen ihr und dem Himmel. Aristoteles sagte, Körper wären schwer, weil sie nach ihrem natürlichen Ort hin streben. Physiker der Neuzeit sahen darin eine Scheinerklärung. Ich komme noch darauf zurück. In der Neuzeit hat sich Newton über die Schwerkraft viele Gedanken gemacht, musste jedoch einsehen, dass sie mit den ihm bekannten Mitteln der Physik nicht erklärbar war, obwohl gerade er sie berechenbar gemacht hatte. Sein berühmter Ausspruch "hypotheses non fingo" (Hypothesen denke ich mir nicht aus), bringt seinen Respekt vor der Besonderheit des Schwerkraftphänomens zum Ausdruck.
Descartes und viele andere Physiker lassen bis heute dieses Feingefühl vermissen und theoretisieren einfach drauflos. Sie versuchen die Schwerkraft mit Gewalt durch ein im Raum verteiltes Medium, das auf die Himmelskörper Druck ausüben würde, rein mechanisch "zu erklären". Das Problem ist jedoch, dass die Himmelsbewegungen durch dieses quasimaterielle Medium abgebremst würden - was man aber nicht feststellen konnte. Für Einstein war daher die Schwerkraft gleich eine Wirkung des Raumes selbst, der durch seine Krümmung Körper wie einen Rennbob im Eiskanal lenken würde, was aber eben doch auch wieder nur eine mechanische Vorstellung ist. Dabei ist schon Newtons Schwerkraftgleichung eine rein räumliche, die besagt, dass die Schwerkraft um einen Körper herum sich gleichmäßig im Raum verteilt, denn das ist es, was wir einzig feststellen können. Niemand ist bisher einem quasimateriellen gekrümmten Raum begegnet. Immer können wir nur (durch Schwerkraft) gekrümmte Bahnen von Materie und Licht erfahren. Diese "erklären" jedoch nicht die Schwerkraft - sondern sind ihre Folgen, die Einstein mit seinen von Körpern erzeugten "Dellen der Raumzeit" bildlich beschrieb, an deren Grund jedoch die sie erzeugende Newtonsche Schwerkraft sitzen müsste.
Erst die Quantenphysik hat mit dem Verschränkungsphänomen einen Weg gewiesen, um uns dem Geheimnis der Schwerkraft doch noch nähern zu können. Quanten werden vor allem bei ihrer
gemeinsamen Emission aus einer Quelle verschränkt, was sie anschließend auch über beliebige Entfernungen hinweg gemeinsam und momentan reagieren lässt. Sie sind und bleiben entgegen dem Augenschein EIN Ganzes, unabhängig von Raum und Zeit, so wie auch Newtons Gravitationsgleichung ohne Zeitfaktor ist und uns somit schon einen wichtigen Hinweis auf die Eigen-Art der Schwerkraft gibt. Da es vernünftig ist, unseren Kosmos als aus einem gemeinsamen "Urknall" entstanden anzusehen, denn einzig er erklärt die Existenz der kosmischen Fliehkraft, halte ich es auch für vernünftig die Schwerkraft ebenfalls durch dieses Ereignis begründet zu verstehen. Die Verschränkung durch den "Urknall" hat bewirkt, dass alle Teile des Kosmos EIN GANZES sind, weshalb sie zueinander hinstreben, woran sie jedoch im Großen durch die zur gleichen Zeit entstandene kosmische Fliehkraft gehindert werden, während sie "im Kleinen" damit durchaus Erfolg hatten, wie die Existenz kugelförmiger Himmelskörper, aber auch die von Planetensystemen und Galaxien beweist.
Der Kosmos ist ein getreues Abbild dieser beiden gemeinsam entstandenen Kräfte und der größtmögliche Beweis überhaupt, den es je für eine These geben kann, die noch dazu ohne Hilfsannahmen auskommt.
Das gern bemühte Gegenargument, sich in seinem biederen Hauverstand das nichtmechanische Wirken von Schwerkraft und Verschränkung "nicht vorstellen zu können" und es deshalb in Frage zu stellen, beweist neben fehlender Lernfähigkeit doch vor allem, dass die Natur alle Denkbarkeit übersteigt, was man mit Newton endlich akzeptieren sollte. Das gehört eben auch zum Natur- und Selbstverständnis! Aristoteles hatte jedoch so unrecht nicht mit der Aussage, dass beim Fallen Körper nach ihrem natürlichen Ort hin streben, denn mit anderen Körpern sich vereinen zu wollen, ist ihnen ganz natürlich und diese "Liebe" zu allen könnte durchaus auch uns Menschen ein Vorbild sein. Ohne Liebe unter den Menschen und ohne bedingungslose Liebe zur Natur werden wir hier auf Dauer keine Heimstatt haben.