museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2011

Determination und Verantwortung

15.04.2011

Beim Begriff des Determinierens, der "begrenzen", "festlegen" meint, ist zuerst zwischen Fremd- und Eigenbestimmung zu unterscheiden. Beim Menschen ist diese Unterscheidung nicht immer leicht zu treffen, weil ihm von Kindheit an Regeln eingeprägt werden, die er dann als die seinen versteht. Etliche Hirnforscher und Humanisten meinen sogar, dass Urteile und Entscheidungen des Unbewussten dem Menschen keine Willensfreiheit ließen, er also für sein Denken und Tun nicht verantwortlich wäre, weil sie das Unbewusste als eine fremde Macht verstehen, die den Menschen lenkt. Doch der Mensch ist ein Ganzes und das Gehirn ist sein eigenes kognitives Organ, das zu verstehen sucht.

Man könnte meinen, dass in Bezug auf die tote Materie es einfacher wäre festzustellen, inwieweit sie fremd- oder eigenbestimmt ist. Diese Frage ist jedoch so ad hoc nicht zu beantworten, weshalb die Menschen wie üblich von sich auf die Dinge schließen. Erleben sie sich selbst als Getriebene, in sozialen Netzen gefangen, werden sie wenig geneigt sein, die Natur als eigenbestimmt anzusehen, eher als durch Naturgesetze oder gar durch einen alles lenkenden Gott determiniert. Diese Sicht hat zudem für sie den Vorteil, sich auch selbst als von Verantwortung frei zu sehen, weshalb viele so an ihr hängen. Man denke nur an die Drohung mit Hölle und Fegefeuer, die einen Christen erwartet, wenn er im Jüngsten Gericht zur Verantwortung gezogen wird. Wenn er aber gar keine Verantwortung hat, muss er sich auch nicht vor Teufel und Hölle fürchten. Und das wäre dann eine sehr humane Sicht.

In seiner Rede "De dignitate hominis" hat Giovanni Pico della Mirandola (1463-1494) als erster die Würde des Menschen in das abendländische Bewusstsein gebracht. Er sagte: "Der Mensch ist das einzige Wesen, das nicht nach einem Typus (Urbild) erschaffen ist, weshalb er die Freiheit besitzt, sich selbst zu vollenden." Und mit dieser Rückbesinnung auf die eigenen Fähigkeiten und Ziele begann die Neuzeit an deren Ende dann das freiheitliche demokratische Zeitalter steht mit der deutschen Grundgesetzpräambel als Krönung, dass die Würde des Menschen unantastbar ist.

In der Physik fand dieses Denken der Eigenbestimmtheit sowohl bei Descartes (1596-1650), als auch bei Newton (1643-1727) seinen Niederschlag. Descartes nannte es das "Erste Naturgesetz", dass jeder Körper "soviel an ihm liegt", sich in seinem

Zustand erhält. Bei Newton heißt es in Definition III seiner Principia, dass jeder Körper von sich aus in seinem Zustand verharrt. Er braucht also nichts und niemand der ihn darin erhält und es ist niemand da, der ihn hindern könnte, sich von sich aus in ein Geschehen einzubringen, also ursächlich, d.h. aus der Sache selbst heraus zu wirken. Newtons Konkurrent Leibniz war das Anlass genug, Newton bei der Gattin des englischen Thronfolgers wegen Gottlosigkeit anzuschwärzen, ist der englische König doch auch das Oberhaupt der Anglikanischen Kirche. Descartes wurde letztlich als Opfer seiner freiheitlichen Ansichten von einem Jesuiten bei seinem Aufenthalt in Stockholm vergiftet.

Diese freiheitliche Sicht in der Physik ging in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr und mehr verloren, als Philosophen die Vorherbestimmtheit der Geschichte lehrte, z.B. als Weg zu einer klassenlosen Gesellschaft. Auch die Physik blieb von dieser Sicht nicht verschont, so wenn Ernst Mach (1838 – 1916) vom Ursachenbegriff gleich nichts mehr wissen wollte. Einstein sah dann in seinem Geiste die Welt von Raum und Zeit gelenkt. Als Autist hing er einem strengen Determinismus als Fremdbestimmung. Nicht einmal Gott mochte er irgendwelche Freiheiten zugestehen, denn die hätten ihn zutiefst verunsichert, weshalb er nicht glauben konnte, "dass Gott würfelt". Und seitdem Einsteins Anhänger seine deterministische Sicht mehr und mehr in die Gesellschaft hineintragen, ist es eben schicklich geworden, dem Menschen keine Willensfreiheit mehr zuzugestehen, so im Namen eines neuen "Humanismus" gerade das Erbe der Renaissance leugnend.

Diese Philosophie der Verantwortungslosigkeit erweist sich jedoch immer mehr als unzeitgemäß und fatal, denn nur dadurch, das wir unsere Rolle in allen Wahrnehmen, Denken, Reden und Tun erkennen und bedenken, können wir versuchen, die durch die Menschheit verursachten Weltprobleme zu meistern. Anderenfalls geben wir uns fatalistisch dem Lauf der Dinge hin.

Zum Weiterlesen:
Auf WEGE DES DENKENS Text I/A9 "Kausalität contra Determinismus"

http://www.helmut-hille.de/kausal.html

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