museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2011

Der Weg des Geistes

15.06.2011

Als ich im Radio eine bekannte Melodie hörte, die meine Gefühle stark bewegte, verspürte ich den Wunsch, auch meine Texte sollten so unmittelbar eingängig und ansprechend wie Musik sein können. Doch der Weg des Geistes ist der Umweg, wie Hegel bereits sagte, nämlich über das Argument. Und das muss geistig nachvollzogen werden, soll es beim Empfänger ankommen. In dem Versuch, mich meinem Ideal trotzdem zu nähern, habe ich dann für meine eigens dazu konzipierte Website ZEIT UND SEIN kurze prägnante Texte zu übersichtlichen Themen geschrieben, in denen sich, wie bei einem Gedicht, in Versen gegliedert Zeile für Zeile, in einfachen Worten Gedanke an Gedanke reiht, in der Hoffnung, so für mehr Eingängigkeit und Klarheit zu sorgen. Unter Zuhilfenahme Goethes und Matthias Claudius ergaben sich da sogar zwei richtige Gedichte, die sich auch reimen, was sie besonders eingängig macht. Das an Matthias Claudius angelehnte Abendlied kann man bekanntlich auch singen.

Der Geist wächst mit seiner Fähigkeit zu differenzieren, sowohl bei der einzelnen Person, als auch in der Geschichte des Geistes selbst. Die griechische Philosophie ist uns da immer noch Vorbild, weshalb wir ihre Unterscheidungen übernommen haben. Auf diese Weise gingen die Naturwissenschaften Schritt für Schritt aus ihr hervor. Jedoch je erfolgreicher sie wurden, umso mehr vergaßen sie nicht nur ihre Wurzel, sondern verlernten auch, zwischen den verschiedenen Seinsebenen klar zu differenzieren, besonders in der Physik, wo man heute weitgehend nicht mehr zwischen von Menschen gesetzten Messgrößen und den Objekten der Forschung unterscheidet und selbst die mentalen Ordnungsmuster Raum und Zeit für physikalische Gegenstände hält. Das liegt auch daran, dass viele Physiker durch Inzucht des Lehrbetriebs so stark autistisch angehaucht sind, dass sie sich der eigenen Rolle im Erkenntnisprozess nicht mehr bewusst sind.

Erst mit dem Aufkommen der Quantenmechanik in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts, die es mit winzigen Objekten zu tun hat, zeigte sich mehr und mehr, dass man die Rolle des Beobachters nicht ignorieren kann, um die Phänomene zu verstehen. Einige Physiker begannen, hier insbesondere Erwin Schrödinger und Carl Friedrich v. Weizsäcker, sich mit antikem Gedankengut auseinanderzusetzen, ohne jedoch völlige Klarheit zu erlangen. Heute hofft der bekannte Quantenphysiker Anton Zeilinger in Wien daher zu Recht auf die Hilfe der Philosophie.

Soll es geistigen Fortschritt geben, müssen alle wieder lernen, mehr zu differenzieren. Das beginnt mit der sorgfältigen Verwendung der Sprache. Wer von Sonne, Mond und Sternen so spricht, als wären es Kühe auf der Weide, die sich entweder bewegen oder im Gras ruhen, kann unmöglich einen physikalischen Sachverhalt angemessen beschreiben und zum Verständnis bringen, haben doch tote Objekte weder Bewegungsorgane, noch einen Bewegungswillen. Mangels biologischer und mentaler Fähigkeiten beharren sie einfach in ihrem Zustand, unabhängig von menschlicher Einschätzung, sofern nicht andere physikalische Objekte auf sie einwirken, wie es bereits Newton richtig beschrieb. Ein Bewegungseindruck entsteht erst dadurch, dass ein Beobachter Objekte zu seinem Verständnis zu Orten in Beziehung setzt, wodurch es dann für ihn auch Ortswechsel gibt, die der naive Beobachter in gewohnter Sicht- und Sprechweise als "Bewegung" beschreibt. Aber ohne die dazugegebenen Orte kein Ortswechsel und keine Bewegung! Das kann jedes Kind verstehen, sobald es zu denken gelernt hat.

Doch seit der Neopositivist Ernst Mach den Augenschein für besonders objektiv hielt und andere mit ihm alles (für einfache Gemüter) scheinbar "so einfach wie möglich" zu erklären versuchen, verschließt man sich dem Umweg über Argumente und verdächtigt Vernunft und Sachverstand, die das nicht "so einfach" sehen, also nicht ohne den nicht immer leicht zu durchschauenden Beobachter. Heute kann es kein Physiker wagen, den sog. gesunden Menschenverstand in der Physik öffentlich anzumahnen, ohne befürchten zu müssen, aus seinen Ämtern gemobbt zu werden. Daher müssen unabhängige Außenstehende für Vernunft und Sachverstand eintreten, damit der Geist wieder lernt, Physikalisches, Biologisches und Mentales klar zu unterscheiden, Unterschiede, die griechische Denker schon sahen und die aber im heute so verbreiteten Materialismus vieler Physiker nichts mehr gelten. Für mich ist das der Untergang der abendländischen Denkkultur, den wir um unserer Selbst und unserer Zukunft willen nicht mehr hinnehmen sollten.

Helmut Hille

Zum Weiterlesen:
ZEIT UND SEIN. Philosophie kurz und bündig. Erhellungen von Helmut Hille

http://www.helmut-hille-philosophie.de

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