museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2011

Parmenides - Dialog über die Jahrtausende

15.11.2011

Parmenides, ein Grieche der ca. 540 – 480 vor der Zeitrechnung in Elea in Unteritalien lebte, ist für mich der Philosoph, der aus der Zukunft kommt. Mit dieser Überzeugung stehe ich nicht allein da. In dem 1999 erschienenen Buch "Die Traumfahrt des Parmenides" über "die mystischen Wurzeln der westlichen Zivilisation" von Peter Kingsley, eines des Altgriechischen mächtigen Philologen, schrieb dieser: "Denn was Parmenides bedeutet, kann niemand je aus dem Weg räumen. Es wird immer wieder seinen Weg zu uns zurück finden." Denn nur wenn wir seine Stufe der Erkenntnis erreichen, werden wir die Welt verstehen – weil wir uns selbst verstehen.

Parmenides lebte zu einer Zeit, die der Philosoph Karl Jaspers (1883 – 1969) die Achsenzeit nannte. In ihr lebten in Griechenland noch Heraklit, in Indien Buddha, in China Konfuzius und Laotse, die eine neue Sicht der Welt lehrten, die auf Selbsterkenntnis beruhte. So schon Laotse, der früheste dieser Philosophen: "Andere erkennen ist klug, sich selbst erkennen ist weise." Trotz der Psychoanalyse ist das im Westen heute weniger denn je eine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil. In der von Materialisten dominierten Physik bedeutet schon das Nachdenken über Erkenntnismechanismen Verrat (Monod), obwohl kluge Köpfe durchaus ihre Defizite erkennen, denn ohne Selbsterkenntnis bleibt alles Wissen vorläufig.

Obwohl vom Lehrgedicht des Parmenides über die Natur uns nur Teile überliefert sind, sehe ich den Text als die Eigernordwand der Philosophie, die schon viele, ihre Herausforderung durchaus erkennend, versucht haben zu durchsteigen. Die größte Herausforderung ist dabei die Einleitung des Lehrgedichts in Form einer Himmelfahrt, die ein verschlüsselter Schlüssel ist, den wörtlich zu nehmen in die Irre führt, warnt die verkündende Göttin doch selbst von ihrer "Worte trügendes Gefüge." Erst aufgrund meines jahrelangen Bemühens, menschliches Verständnis zu verstehen, erkannte ich eines Tages, dass das sog. Proömium in mythischen Vokabeln den Erkenntnisvorgang selbst beschreibt.

Zentral ist das Auftreten der Göttinnen Themis und Dike, die dem "Jüngling"* den Weg zur Erkenntnis weisen. Themis ist die Göttin der Rechtsordnung, die man auch das positive Recht nennt, Dike die Göttin der Rechtsprinzipien, "die unerbittlich den richtenden Schlüssel verwahrt." Es geht also darum nach anerkannten Prinzipien und Regeln zu urteilen, so wie das im Recht schon immer der Fall war. Ansonsten hätten wir nur zufällige Meinungen, griech. Doxa, "denen keine wahre Verlässlichkeit innewohnt." Als Zweites gilt es den Weg des eingefahrenen Denkens in Gegensätzen zu verlassen, die nicht in der Sache selber

liegen. Es gilt "das lichte Tor am Pfade von Tag und Nacht" zu erkennen: mit "licht" = ätherisch ist die geistige Barriere gemeint, die es durch das rechte Bedenken nach Prinzipien zu überwinden gilt. "Nachdem die Denkbarriere gefallen, sprang auf das Tor und öffnete breit den ansonsten verschlossenen Abgrund [zwischen Schein und Sein]." Das Lehrgedicht trägt dem Rechnung, dass alles Verstehen auf Konstanten beruht, auf die Menschen sich verlassen. Beim quantitativen Wissen sind es die verbindlich vereinbarten Größen und ihren Einheiten wie Meter, Sekunde und Gramm. Alles qualitative Wissen dagegen sollte nach Parmenides dem Grund-Satz folgen, dass "Seiendes ist!" Sein kann weder entstehen – wo sollte es herkommen? - noch vergehen - wo sollte es hingehen? Doch es unterliegt einem ständigen Wandel, bei dem "durch Mischung der Glieder" in seiner Wirkung nach außen hin immer wieder Neues entsteht, was er anhand der Zeugung erläutert. Während also der heute allgemein anerkannte  Erhaltungssatz der Energie hier Parmenides folgt, wie im Zeitalter des Rationalismus schon Newton mit seinen Axiomen den vom griechischen Denker vorgeschlagenen Weg ging, hat es seine Überzeugung vom emergenten Auftauchen neuer qualitativer Eigenschaften durch "Mischung der Glieder" noch immer schwer.

So ist auch unsere geistige Welt selbst eine Mischung von objektiven, durch die Sinne hereinströmenden Daten und ihrer Selektion und Adaption an unsere Bedürfnisse und Fähigkeiten, die uns das Überleben sichern sollen. Ein mehr objektives Wissen können wir eben nur dadurch erreichen, dass wir beginnen, unser Verstehen zu verstehen. Daher ist eine Theorie des Verstehens die größte Herausforderung von Philosophie und Wissenschaft, wollen wir den Schein und mit ihm das gefährliche Schwarz-Weiß-Denken ("die Bahnen von Tag und Nacht") überwinden: "Denn nicht ohne das Sein, das der Aussage Bestand gibt, wirst Du das Erkennen finden."
(*Parmenides wird von der Göttin "Jüngling" genannt, weil er aus ihrem Mund zeitlose, nicht alternde Wahrheiten erfährt in der Gewissheit, "dass keines Menschen Meinung dich je überholen wird" wie sie ihm ebenfalls verkündet.)

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS:
"Parmenides im Klartext" = Datei II/5a und das Lehrgedicht "Vom Schein zum Sein" (Gesamttext) = Datei II/5b

http://www.helmut-hille.de/parmeni.html

Ausgezeichnet.org