museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2012
Authentizität – was ist das?
15.07.2012
Intelligente Wesen haben die Fähigkeit sich zu verstellen. Menschen haben darüber hinaus die Fähigkeit Meinungen zu verbreiten, die nicht ihrer Überzeugung entsprechen, weshalb die Frage, inwiefern Verhalten und Verlautbarungen echt, also authentisch sind, im Leben permanent aktuell ist. Die Welt ist ja ein großer Basar für Waren und Weltanschauungen und da möchte man schon gern wissen, ob die Anpreisungen stimmen, bevor man jemand etwas abnimmt. Wir haben daher auch bei Personen das Problem, zwischen Schein und Sein zu unterscheiden. Wer allerdings selbst oberflächlich ist und/oder auf den Schein hin lebt und agiert, um den Erwartungen seiner Mitmenschen und deren Moral zu entsprechen, wird die Frage nach Schein und Sein wahrscheinlich gar nicht verstehen und wird gar nicht wissen, warum jemand oder etwas ihn mehr anspricht als jemand oder etwas anderes. Aber auch wenn Lügen mehr oder weniger leicht über die Lippen fließen, bei der anderen, der ursprünglicheren Sprache des Menschen, bei seiner Körpersprache, fällt es Menschen schon viel schwerer, sich zu verstellen, weshalb es immer gut ist, auf die Sprache des Körpers zu achten, also auf seine Haltung, Mimik, Gestik und Sprachmelodie.
Nicht nur in Asien hat man das Problem, "sein Gesicht" zu wahren. In unserem Kulturkreis ist es das Image, um das es vielen geht, besonders wenn die wirtschaftliche oder politische Existenz davon abhängt. Doch denke ich, dass es auch Beispiele von Authentizität gibt. Spontan fällt mir Papst Johannes Paul II. ein, weshalb er so verehrt wurde und wird. Auch der Dalai Lama ist auf seine Weise authentisch, ohne dass er mir als der Gefangene seines Glaubens erscheint. Er weiß als Buddhist, dass auch die höchsten Wahrheiten keine absoluten Wahrheiten, sondern nur Wahrheiten für uns sind. Das schenkt ihm die Freiheit des Geistes, die er ausstrahlt. Der SPIEGEL 29/2007: "Er verkörpert, was er verkündet. Er lebt, was er lehrt: Der Dalai Lama ist so etwas wie der Gegenentwurf zum 'klassischen' Politiker." Bei den Sängern ist mir Udo Jürgens immer als der authentischste erschienen, was er als 74-jähriger mit seiner Aussage gegenüber der BILD-Zeitung
bestätigte: "Ich war innerlich immer von einer tiefen Ernsthaftigkeit." Trotz aller Unterhaltung, um die es ihm ging, wollte er zugleich Haltung bewahren. Howard Carpendale ist 2003 von der musikalischen Bühne abgetreten, weil er merkte, dass seine Authentizität in Gefahr war. Inzwischen singt er wieder öffentlich. Als der z. Zt. authentischste Deutsche erscheint vielen von uns Joachim Gauck, weshalb er auch soviel Zustimmung bei und zu seiner Wahl als Bundespräsident fand. Sein Charakter ist im Widerstand gegen die DDR-Diktatur gereift. Er wurde das, was eine andere Ostdeutsche nach dem Krieg sich vom neuen Menschen wünschte und was sie mir ins Stammbuch schrieb:
R e g e n e r a t i o n
Es muss eine Erneuerung vom Geist her kommen
voll stärkstem Willen zu eigener Verantwortung
mit der Tat,
voll Ernst und Einsatzwillen zur Sauberkeit,
voll Verzicht auf persönliche Vorteile,
voll Willen zum Helfen mit der Tat
ohne Phrase, Schönrederei und Überheblichkeit
soll Ethik über Ästhetik gehen.
Jenseits von allem Dogma,
zum Willen ans Gute schlechthin,
ohne Angriffslust auf derzeitige Machtssysteme
soll bewiesen werden,
dass eine ganz tiefe Kraft nötig ist,
wenn Großes wachsen soll.
Johanna Fischer
Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS, II. Die Hervorbringung des Menschlichen
Text 17 "Herrschaft durch Sprache"