museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2013
Die Achsenzeit der Menschheitsgeschichte
15.01.2013
Nach dem Philosophen Karl Jaspers (1883 – 1969) in seinem Buch "Vom Ursprung und Ziel der Geschichte" von 1949 ist die Achsenzeit die Zeitspanne von ca. 800 bis 300 v. Chr., in der gleichzeitig in voneinander unabhängigen Kulturräumen (China, Indien, Iran, Judäa und Griechenland) die geistigen und technischen Fortschritte erfolgten, die bis heute Grundlagen aller Zivilisation sind. Durch Jaspers Achsenzeit können die Anfänge der Menschheitsgeschichte einheitlich verstanden werden.
In der Mitte dieser Achsenzeit gibt es eine bemerkenswerte kurze Zeitspanne so zwischen 600 und 500 v. Chr., in der menschliches Verstehen weltweit sich selbst zum Gegenstand wurde. So hieß es spätestens um die Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. am Apollotempel zu Delphi: "gnothi seauton", "Erkenne dich selbst". Nach Aristoteles befand sich die Schrift sogar schon am Vorgängerbau, der 548/547 v. Chr. durch Brand zerstört wurde. In China war es Laotse (ca. 604 – 520 v. Chr.), der im 33. Spruch seiner Weisheitssammlung forderte: "Andere erkennen ist klug, sich selbst erkennen ist weise; andere lenken ist Macht, sich selber lenken ist Erleuchtung …". In einer griechischen Kolonie in Unteritalien war es Parmenides (ca. 540 – 480 v. Chr.), ein Zeitgenosse Heraklits, der lehrte, Schein und Sein zu unterscheiden, ist der Schein doch immer aufseiten des Menschen, der sich die Welt mit seinen Mitteln geistig aneignet. In Indien lebte zu dieser Zeit Buddha (ca. 560 – 480 v. Chr.), der sich mit dem trügerischen Schein auseinandersetzte und lehrte, dass es kein wahres Selbst gibt. "Dieser Schritt ins Universale oder die ‚Vergeistigung', wie Jaspers sagte, habe eine Veränderung des gesamten Menschseins bewirkt." (Wikipedia)
Die Auseinandersetzung mit dem Problem des Scheins ist aber nicht nur bis heute nicht abgeschlossen, sondern seit dem Auftreten Einsteins (1879 – 1955) dringender denn je. Einstein war ein Aspergerautist, der mangels Selbstwahrnehmung jegliche Rolle des menschlichen Geistes heftig bestritt. Und weil er sich nicht in die Gedanken Anderer hineinversetzen konnte, strickte er sich seine eigene Physik, die ihn weltweit berühmt machte - gerade weil sie keiner verstand. So war es auch nicht so sehr die Güte seiner Relativitätstheorien von 1905 und 1915, die seinen Ruhm begründete, sondern der Zeitgeist mit seiner tiefen Verunsicherung überkommener Werte, auf den sie traf, an dessen Anfang Nietzsche (1844-1900) mit seiner Umwertung aller Werte stand. Einstein lieferte mit seiner anachronistischen Bestreitung jeglicher Beobachterrolle jener materialistischen
religionsfeindlichen Zeitströmung, die in ihrem Anarchismus nicht nur vom Heiligen Geist, sondern gleich auch noch vom Geistigen als eigenen Wert überhaupt nichts mehr wissen wollte, eher unfreiwillig willkommene, für wissenschaftlich gehaltene Argumente, weshalb er von dieser Fraktion bis heute so hoch gehalten wird.
Ihre Geistfeindlichkeit hindert sie aber nicht, zugleich mit Einsteins Geist zu protzen oder sich auf einen biederen Hausverstand zu berufen, der sich "was nicht vorstellen kann", wenn es gilt, unangenehme Fakten zu bestreiten, wie sie die Quantenphysik unter Beachtung der Rolle des Beobachters mit Unschärfe und Verschränkung aufgezeigt hat.
Von der namenlosen Göttin, die Parmenides in seinem Lehrgedicht "Über das Sein" nach Überwindung des Scheins begrüßte, wird er "Jüngling" genannt, denn er ist durch ihre Hilfe und ihren Mund Zeuge und Träger zeitloser Wahrheiten geworden, die nicht altern. Für mich ist er der Philosoph, der aus der Zukunft kommt, denn er hat Fragen beantwortet, die wir erst noch wieder stellen müssen, um uns selbst zu verstehen. In dem 1999 erschienenen Buch von Peter Kingsley, eines des Altgriechischen mächtigen promovierten Philologen "Die Traumfahrt des Parmenides. Die mystischen Wurzeln der westlichen Zivilisation" heißt es folgerichtig: "Denn was Parmenides bedeutet, kann niemand je aus dem Weg räumen. Es wird immer wieder seinen Weg zu uns zurück finden", wenn es gilt Schein und Sein zu unterscheiden, um zu einem angemessenen wie überlebensdienlichen Umgang mit der Welt zu kommen, von der wir leben.
Helmut Hille
zum Weiterlesen:
ZEIT UND SEIN, Text [5] Intuition will bedacht sein. Parmenides weist den Weg
ausführlicher auf
WEGE DES DENKENS, II. Das Verhältnis zwischen Denken und Sein
Text (5) "Was uns hindert, die Einheit des Daseins zu sehen. In der Sicht des Parmenides"
(http://www.helmut-hille.de/lt11.html)
Fortsetzung dort: der Schlüssel des Lehrgedichts: "Parmenides im Klartext"
sowie der Gesamttext: "Vom Schein zum Sein"