museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2013

Schrödingers Katze

15.03.2013

Schrödingers Gedankenexperiment zur Quantenmechanik besagt, dass sich in einem geschlossenen Raum ein instabiler Atomkern befindet, der innerhalb einer bestimmten Zeitspanne mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zerfällt. Der Zerfall des Atomkerns wird von einem Geigerzähler detektiert. Im Falle einer Detektierung wird Giftgas freigesetzt, das eine im Raum befindliche Katze tötet. Gemäß der Quantenmechanik wird der Atomkern nach Ablauf der Zeitspanne als im Zustand der Überlagerung (noch nicht zerfallen und zerfallen) beschrieben.

Demnach sollte sich, wenn die Quantenphysik auch auf makroskopische Systeme anwendbar wäre, auch die Katze im Zustand der Überlagerung, also lebendig und tot, befinden. Diese Schlussfolgerung erscheint zunächst paradox und wird in der "Kopenhagener Deutung" wie folgt von Schrödinger interpretiert: Beim Öffnen des Raumes und Beobachtung (Messung) springt der Atomkern, der sich zuvor im Zustand der Überlagerung befand, in einen der möglichen Zustände. Grund dafür ist, dass die Wellenfunktion, die den Überlagerungszustand des Teilchens bestimmt hat, im Moment der Beobachtung kollabiert. Erst bei der Messung durch einen äußeren Beobachter entscheidet sich also, ob die Katze tot oder lebendig ist. Vor der Messung kann über den Zustand der Katze nicht mehr als eine Wahrscheinlichkeitsaussage getroffen werden - was aber ganz natürlich ist.

Wie man erst später bemerkte, hat Schrödingers Wellenfunktion nichts mit physikalischen Wellen zu tun, sondern ist ein Wahrscheinlichkeitsalgorithmus (Rechenschema). Die Überlagerung besagt schlicht, dass etwas noch unentschieden ist, im Fall des Atomkerns zerfallen oder nicht zerfallen, im Fall der Katze tot oder lebendig. Die Überlagerung ist also nur der Ausdruck dafür, dass man noch nichts mit Bestimmtheit weiß. Erst durch einen Eingriff, z.B. eine Messung, wird ein definitiver Zustand erzeugt. Daran ist überhaupt nichts Geheimnisvolles, denn jeder bestimmte Zustand ist durch einen Beobachter bestimmt. Erst durch eine Beobachtung kann ein definitives Wissen gewonnen werden. Der Kollaps der

Wellenfunktion beschreibt nur etwas umständlich das Ende einer Wahrscheinlichkeit. Nicht mehr und nicht weniger.

Vor dem Aufkommen der Quantenmechanik hat man sich in der Physik über das Verhältnis von Wissen und Realität kaum Gedanken gemacht, weshalb es auch an sprachlichen Mitteln fehlte, die neuen Situationen allgemeinverständlich zu beschreiben. Abgesehen davon möchte man auch gern mal etwas geheimnisvoll erscheinen, weil das beim Hörer einer Rede Eindruck macht, wie Heisenberg einmal bekannte. Zeilinger in Wien glaubt heute noch, dass die Probleme, die Menschen mit der Quantenphysik haben, etwas speziell mit dieser zu tun habe. Doch es war nur die Winzigkeit der Objekte, weshalb es plötzlich wichtig war, sehr genau zu sein, sei es beim Experimentieren oder beim Sprechen, will man denn den Sachverhalt treffen. Prinzipiell ist es aber auch im Makrokosmos wissenschaftlich geboten genau zu sein. So ist es zwar vernünftig anzunehmen, dass der Mond auch da ist, wenn man ihn nicht sieht oder wenn man nicht hinsieht, doch definitiv wissen wir es erst ob er noch da ist, wenn wir ihn oder seinen Lichtschein sehen.

Auch was wir wahrnehmen, hat immer mit uns selbst zu tun. Nur wenn man weiß, was eine Katze oder einen Hund ausmacht, kann man es als Katze oder Hund erkennen, wobei das Wissen darüber aber auch falsch sein kann. Einstein, für den es keine Rolle des Beobachters gab, fand solche peniblen Überlegungen verrückt, so dass er auch glaubte, ohne konstante Messmittel etwas zur Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sagen zu können. Doch die Quantenleute haben sich ein solches Sprechen verboten. Sie sind auf ihre Weise Positivisten, aber moderate, ohne Dogmatismus. Und weil sie alles genau nehmen, ist die Quantenphysik so erfolgreich und wird eines Tages auch die Relativitätstheorie überflüssig machen, sobald Physiker sich das getrauen. Das nötige Wissen dazu gibt es bereits heute.

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS
I. Rationale Grundlagen der Physik
(A5) Strategien physikalischer Theorien

http://www.helmut-hille.de/stratege.html

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