museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2013
Vom richtigen Sprachgebrauch in der Wissenschaft
15.04.2013
Kung-fu-tse, der Weise aus China lehrte: "Soll die Gemeinschaft sich ordnen und der Einzelne seine Bestimmung erfüllen, dann müssen zuerst die Begriffe in Ordnung gebracht werden, denn die Unordnung ist zuerst im Denken." Soll Wissenschaft gelingen, muss zuerst deren Sprache bedacht werden, sollen die Gegenstände der Forschung angemessen verstanden und beschrieben werden können. Die Erfolge der Quantenphysik haben auch etwas mit ihrer Sprachdisziplin zu tun und der Anweisung, über prinzipiell Unerfahrbares sich der Aussage zu enthalten, z.B. zu der Frage, was Quanten zwischen zwei Bahnen tun, weil eben nur die Bahnen detektiert werden können, was den sog. Quantensprung zur Folge hat, der nicht weiter aufgeklärt werden kann. Was aber von Quantenphysikern meist nicht klar gesehen wird ist, dass die Unschärfe kein Zustand der Quanten sondern unseres Wissens vom Verhalten der Quanten ist, was eben das Phänomen des Quantensprungs ergibt.
In der Relativitätstheorie dagegen gibt man sich mit der Sprache überhaupt keine Mühe. Wo man nichts von der Rolle des Beobachters und damit seines Geistes wissen will, was allein schon ein Anachronismus ist, achtet man auch nicht auf die eigene Sprache. Es fehlt da bereits die Unterscheidung von realen und geistigen Gegenständen, von Beobachter und Beobachteten, von unbelebten und lebendigen Körpern. Daher spricht man dort von Sonne, Mond und Sterne wie von Kühen auf der Weide, die mal grasend sich bewegen und ein andermal verdauend ruhen. Dabei hatte Newton schon in seinem 1. Axiom gelehrt, dass physikalische Körper in ihrem Zustand verharren, wenn sie nicht in Wechselwirkung stehen, gleich ob wir sie "ruhend" oder "bewegt" sehen, was eben lediglich eine am Lebendigen geschulte Sehgewohnheit und als solche in der Physik eine metaphorische Rede ohne realen Hintergrund ist.
Wenn man dagegen richtigerweise vom Ortswechsel eines Gegenstandes sprechen würde, wäre sofort klar, dass es den Ortswechsel nicht ohne die vom Beobachter dazugegebenen Orte geben kann, zu denen er den Gegenstand in Beziehung setzt. Das ist es, was man die Relativität der Bewegung nennt, die eben eine geistige Leistung des Beobachters ist. Dinge dagegen beziehen sich nicht aufeinander, denn sie haben keine mentalen Fähigkeiten. Sie können nur aufeinander
reagieren (Newton, 3. Axiom), was ihr Charakteristikum ist. Eine Relativität ohne Beobachter ist daher ausgeschlossen. Aber auch die Biologen geben sich beim Sprechen wenig Mühe. Ihre Lieblingsvokabel ist die Anpassung, weil sie des schlauen Menschen eigene Überlebenstaktik ist. Aber in den Genen gibt es keinen Prozess der Anpassung, sondern nur den der Verzweigung durch Varianten des Erbguts. Und jene Varianten, die sich in ihrer Mitwelt behaupten können, erscheinen uns dann im nachhinein angepasst. Auch das Leben selbst ist kein Prozess der Anpassung, sondern der Überwältigung, indem es fremde Ressourcen zu den eigenen macht. Gerade der Mensch als unspezialisiertes Wesen macht sich die Welt passend, wie er sie braucht, weshalb er in allen Regionen der Erde überleben kann, während die am besten angepassten Arten als Erste mit den Ressourcen verschwinden, von denen sie voll abhängig sind.
Auch in der Gehirnforschung gibt es wie in der Physik Bestrebungen, das Geistige auszublenden und sich einer uneigentlichen Sprache zu bedienen. Der Philosoph
Peter Janisch hat in seinem 2009 erschienenen Buch in "Kein neues Menschenbild. Zur Sprache der Hirnforschung" festgestellt: "Sprachvergessenheit ist zum Kennzeichen der Naturwissenschaften geworden", was eben nicht nur die Gehirnforschung betrifft. Ein gewissenhafter Umgang mit der Sprache wird mehr an wahren Erkenntnissen bringen, als alles Herumforschen mit unabgeklärten Grundsätzen und Begriffen, bei denen unklar bleibt, von was man eigentlich spricht. Noch einmal Peter Janisch: "Sprachkritik ist die wichtigste Aufgabe, die die theoretische Philosophie heute übernehmen kann." Alle meine Texte versuchen eben gerade dieses zu tun.
Helmut Hille
Zum Weiterlesen:
ZEIT UND SEIN - Erhellungen von Helmut Hille,
Tagungsbeitrag (6) "Der Humanfaktor in der Wissenschaft"