museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2013

Die Rolle des Beobachters ist unendlich

15.06.2013

Grenzen der Verständigung
Hans-Georg Gadamer (1900 - 2002) gewidmet

Ohne Sinne gäbe es keine Wahrnehmungen und Erscheinungen.
Erst durch Ohren und Hirn werden Luftschwingungen zu Geräuschen und Lauten, erst die Augen und der Sehcortex machen aus Helligkeitsunterschieden Bilder, erst durch Mund und Nase vermittelte chemische Reize werden zu Geschmack und Duft aus der die Welt entsteht, mit der wir umgehen.
Alles ist daher Interpretation anhand der Verständigkeit des Individuums - und da soll es keine Rolle des Beobachters geben?
Wer kann so etwas Närrisches glauben?

Und weiter: damit Mentales wie Empfindungen und Gedanken mitgeteilt werden können, bedarf es eines an Materie gebundenen Zwischenreichs aus Körperhaltungen, Gesten, Mimik, Tonmodulation, aus Wörtern, Bildern, Zeichen und Symbolen, welche das Gemeinte transportieren, die also nicht selber das sind, um was es geht.
Das ist der Ursprung des hermeneutischen Problems!
(Hermeneutik = Kunst der Auslegung; s. auch Datei II/1a auf WEGE DES DENKENS)

Es begann als der aufrecht gehende Vormensch mit einem Finger seiner nun freien Hand auf etwas deutete, was das Gemeinte war, wie Feind oder Beute. Über die unwillkürliche Körpersprache hinaus will eine solche Geste absichtlich eine Bedeutung vermitteln.
Und mit der Fähigkeit, auf Gemeintes gezielt weisen zu können, begann das, was das geistige Menschsein

ausmacht. Der Deutende setzt dabei auf die Verständigkeit seines Gegenübers, das in der Lage sein sollte, den Sinn von Gesten, Wörtern, Zeichen usw. zu erfassen.
Alles aus diesem Zwischenreich mentaler Gehalte bedarf also der Deutung und Auslegung, wenn es verstanden werden soll, was eben auch immer mit Unsicherheiten verbunden ist.

Letztlich können Wahrnehmungen und deren Interpretation nicht ohne den Wahrnehmenden und Interpretierenden verstanden werden.
Das heißt generell:
alle Deutung spiegelt zuerst das Vorwissen und das geistige Niveau des Deutenden, aber auch sein Interesse, seine Aufmerksamkeit und den Zeitgeist.
Das sind zwar immer wieder andere, aber nicht aufzuhebende Grenzen aller Hermeneutik.

So ist die Rolle des Beobachters unendlich. Unendlich im Raum und unendlich in der Zeit. Sie ist nicht hintergehbar und hat keine Schlupflöcher. Und indem man das erkennt, befreit man sich von falschen Wahrheitsansprüchen und wird geistig Herr im eigenen Haus.

Helmut Hille

zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS, II/1a

http://www.helmut-hille.de/gadamer.html

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