museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2013
Newton als rationaler Denker
15.12.2013
Will man nicht auch in der Wissenschaft unverbindlich bloße Meinungen pflegen, bedarf es Kriterien für die Solidität von Aussagen. Zumeist denkt man, in den Naturwissenschaften wäre dies das Experiment. Aber der Ausgang eines Experiments kann durchaus verschieden bewertet werden, je nachdem, in welchem Kontext es steht und was man von ihm erwartet. Daher bedarf es auch der Kriterien von Bewertungen. Vorbild für Zuverlässigkeit ist da die Mathematik. Sie ist so angelegt, dass durch alle Rechenoperationen hindurch der numerische Wert der Zahlen erhalten bleibt. So ist auch in der Physik von einem Gesetz der Erhaltung auszugehen. Folgerichtig ist heute das Gesetz von der Erhaltung der Energie ihr das oberste Kriterium.
Isaak Newton (1643 - 1727), der im Zeitalter des Rationalismus lebte, der von Descartes (1596 - 1650) gegründet und von Spinoza (1632 - 1677) in seiner "Ethik" rigoros angewendet wurde, legte 9 Jahre nach Spinozas "Ethik" in seinem Hauptwerk "Philosophiae Naturalis Principia Mathematica", von mir übersetzt "Philosophie der Natur nach Prinzipien der Mathematik" (= nach rationalen Prinzipien), eine Axiomatik der Bewegungslehre dar, die Grundlage der neuzeitlichen Physik wurde. Leider werden die Axiome von den heutigen Physikern zumeist als Tatsachenbehauptungen und nicht als Urteilskriterien verstanden, weil sich ihnen die kognitiv höherwertige Axiomatik nicht erschließt. Descartes nannte seine Aussage, dass "jeder (unbelebte) Körper, so viel an ihm liegt, in seinem Zustand bleibt", das "Erste Naturgesetz", das also ein Erhaltungsgesetz ist. Bei Newton lautet das als 1. Axiom entsprechend: "Jeder Körper verharrt (von sich aus)* in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmig-geradlinigen Bewegung, sofern er nicht durch eingedrückte Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird." Es ist also ebenfalls ein Erhaltungssatz.
*Das "von sich aus" des Verharrens findet sich zuvor in der Definition III seiner Principia und erübrigt jede weitere Begründung des Verharrens z.B. durch einen realen "absoluten Raum", ist dieser bei Newton doch nur ein mathematischer (Darstellungs-)Raum, daher unabhängig von seinen Inhalten, weshalb er ihn "absolut" nannte.
Trotz allem Wandel in der Welt ist der Erhalt die Grundbefindlichkeit des Seins. Schon Parmenides in der Antike fragte sich, wo das Sein denn herkommen solle und wohin es gehen könne, und schloss beides aus. Sein oberstes Prinzip war "Sein ist" - ohne Wenn und Aber. Wenn heutige Kosmologen dies beherzigen würden, müsste ihnen klar sein, dass der sog. Big Bang nur das Durchgangsstadium einer zusammenströmenden Materie war, was rational zwingend ist. Aber am rationalen Denken fehlt es eben heute, weshalb ich mit meiner Internetseite WEGE DES
DENKENS versuche, dieses Denken den Menschen, vor allem aber den Physikern, wieder nahe zu bringen. Besonders durch Ernst Machs Lehre, man solle sich auf den Augenschein verlassen, der aber eben nur ein Schein und kein Sein ist, ist das solide rationale Denken verloren gegangen, was sich in der theoretischen Physik seitdem schmerzlich bemerkbar macht. Axiome sind die Anwendung eines allgemeinen, gut abgeklärten Prinzips, das jedermann durch Vernunft prüfen kann. Newtons Axiome sind die Anwendung des Erhaltungsprinzips auf die Bewegungslehre.
Bemerkenswert an seinem 1. Axiom ist auch noch die Wendung, dass jeder Körper (von sich aus) "in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmig-geradlinigen Bewegung verharrt", d.h. physikalisch macht es keinen Unterschied, ob wir einen Körper "bewegt" oder "ruhend" sehen, weil "Bewegung" und "Ruhe" nur am Lebendigen geübte metaphorische Wertungen des Ruhe- oder Bewegungseindrucks sind, der erst entsteht, wenn der Beobachter durch geistige Verknüpfung einen Körper zu einem von ihm gesetzten Fixpunkt in Beziehung (Relation) setzt, was die Relativität der Bewegung ausmacht. Die sog. Bewegung unbelebter Dinge ist eben von Natur aus relativ, d.h. sie kann nicht ohne die Sehweise des Beobachters verstanden werden. Newton als rationaler Denker und Kenner menschlicher Sehgewohnheiten hat den Denkfehler, dass es physikalisch auf die Bewegung von Objekten ankommt, so von vorn herein ausgeschlossen und in seiner Mathematik die Bewegungsgröße v gleich eliminiert. Mathematisch hat er nur mit der Änderung einer Geschwindigkeit, Beschleunigung genannt, gearbeitet, weil sie das Zeichen einer vom Beobachter unabhängigen objektiv einwirkenden Kraft, also einer realen Ursache ist, was seiner Dynamik ihre zeitlose Gültigkeit verleiht.
Helmut Hille
Zum Weiterlesen
- generell:
ZEIT UND SEIN - Tagungsbeitrag (5)
Newtons Philosophie der Physik - zeitlos!
http://www.helmut-hille-philosophie.de/anhang5.html
- konkret:
ZEIT UND SEIN – Text [19] Die Macht der Stille. Newtons Universum und Gottes Wesen
verbindet Physik und Metaphysik (war bereits 2011 Januarsentenz)