museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2014
Der Universalist Laotse
15.01.2014
In der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. gibt es eine bemerkenswerte kurze Zeitspanne, in der weltweit menschliches Verstehen sich selbst zum Gegenstand wurde (s. die Januar-Sentenz von 2013).
In Griechenland waren es die Vorsokratiker, die das Fundament der abendländischen Philosophie und Wissenschaft legten, in Indien war es Buddha, der sich mit dem trügerischen Schein auseinandersetzte, in China war es vor allem Laotse ("Alter Meister"), der die Menschen die Weisheit der Selbsterkenntnis lehrte: "Andere erkennen ist klug, sich selbst erkennen ist weise."
Karl Jaspers nannte diese Zeit "die Achsenzeit": "Dieser Schritt ins Universale oder die ‚Vergeistigung' habe eine Veränderung des gesamten Menschseins bewirkt." "Das Reich der Mitte", wie Chinesen ihr riesiges Territorium mit seinen vielen Völkerschaften und den weiten Horizonten nannten und wohl immer noch nennen, inspirierte zudem, überhaupt ins Universale und Allgemeine zu denken, im Gegensatz zum vorderen Orient, wo ein enges Stammesdenken vorherrschte, das auch seine Religionen geprägt hat.
Laotse ging es darum, sich den allgemeinen Gesetzen des Himmels zu nähern und sich mit ihnen in Übereinstimmung zu bringen. Er nannte diesen Weg des Geistes das Tao, das auf das All-Eine zielt. Was der Westen heute erst mühsam zu begreifen lernt, aber immer noch nicht ernst genug nimmt (s. die unergiebigen Weltklimakonferenzen), war ihm schon Gesetz: "Der Mensch ist abhängig von der Erde, die Erde ist abhängig vom Himmel, der Himmel ist abhängig vom Tao." Also gilt es, das Tao, das zugleich Weg und Ziel ist, zu erkennen und nach ihm zu leben.
Laotses Weisheiten sind im Buch Tao-te-king festgehalten. Als er das Land wegen seiner inneren Kämpfe nach Westen verließ, hätte ihn ein Zöllner zuvor noch gebeten ihm zu sagen, was er für weise hielt und es dann niedergeschrieben. So wurden uns die 81 Sprüche in Versform überliefert, zu denen es auch mehrere Übersetzungen ins Deutsche gibt. Ich habe mich dabei vor allem an die Interpretation von Carl Dallago gehalten "Der Anschluss an das Gesetz oder der große Anschluss" (Erstfassung 1914, Neudruck 1953 Verlag Lambert Schneider Heidelberg), dem es anhand dieser Übersetzungen um den Sinn der Worte Laotses ging. Dabei ist ihm eine kurze und bündige Fassung der Sprüche gelungen, die mich mit ihrer Prägnanz überzeugt.
SECHSTER SPRUCH
Das Urseiende wandelt sich nicht.
Es ist das Ewig-Mütterliche.
Des Ewig-Mütterlichen Gestaltungsgabe
Ist der Ursprung von Himmel und Erde.
Stetig gebärend bedarf es nie der
Befruchtung.
Diese "Gestaltungsgabe" des "Ewig-Mütterlichen" verstehe ich als Emergenz. Emergenz bezeichnet das "Auftauchen" vorher nicht vorhandener Eigenschaften durch die Verbindung oder den Auseinanderfall qualitativ unterschiedlicher Komponenten, die uns die Fülle der Daseinsformen verständlich machen.
Der Weise oder "der Vollendete", wie ihn Dallago übersetzt, schließt sich dem Tao an, indem er sich ihm vorurteilslos und uneitel hingibt (aus dem ZWEITEN SPRUCH):
Darum pflegt der Vollendete:
Das Sichdartun ohne zu bestimmen,
das Belehren ohne zu lehren, - (durch
Vorbild)
das Sichverschenken ohne zu werten,
Er schafft und vermehrt nicht,
er spendet und besitzt nicht,
er empfängt und behält nicht.
Und eben weil er nicht behält,
bleibt er immer in Fülle.
Carl Dallago: Der Weise will nicht selber leuchten. Darum ist er der (vom Tao) Erleuchtete.
Das ist hier zwangsläufig nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus der Weisheit Laotses, die westlichem Denken ebenso fremd ist, wie sie fasziniert. Meine Texte in Versform auf ZEIT UND SEIN sehe ich sehr oft in seinem Geiste geschrieben. So heißt es in Text [13] "Gruß an Sokrates", der ebenso "Gruß an Laotse" heißen könnte und ihm in Stil und Form am nächsten kommt:
1. Der Anfang der Weisheit
Sokrates Erkenntnis "Ich weiß, dass ich
nichts weiß"
ist nicht das Ende, sondern der Anfang
der Weisheit.
So der Meinungen ledig,
fängt der Weise an zu verstehen.
Helmut Hille
Zum Weiterlesen
wie zuvor angegeben