museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2014

Was ist eine Messgröße?

15.03.2014

In der Philosophischen Sentenz vom Februar 2011 "Elle und Fuß und die unsinnige Jagd nach dem Urmeter" schrieb ich zum Schluss: "Sie (die Physiker) da aufzuklären (was Messgrößen sind) ist kaum möglich. Doch muss man es immer wieder versuchen in der Hoffnung, dass nachwachsende Generationen es vielleicht doch einmal besser wissen wollen."

Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Daher habe ich mich trotz meines Alters entschlossen, noch einmal zu einer Tagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) zu fahren, obgleich der Tagungsort Berlin von Heilbronn einiges entfernt ist und eine teure und lange Anreise und mehrere Übernachtungen in einem Hotel erfordert. Aber Berlin ist ja bekanntlich immer eine Reise wert. Zudem liegt der Tagungsort, die Humboldt-Universität, gleich neben der Museumsinsel, der ich unbedingt jetzt, März 2014, einige Besuche abstatten möchte. Ein Zeitfensterticket für das Pergamonmuseum habe ich schon.

Vor dem Fachverband "Theoretische und Mathematische Grundlagen der Physik" werde ich eine gekürzte Fassung meines Textes von 1994 "Messen als Erkenntnisakt" vortragen, zu dem ein Gutachten der Technischen Universität München vorliegt, das ich am Anfang zitieren werde. Doch einleitend bringe ich einen Satz der österreichschen Dichterin Ingeborg Bachmann, die gesagt hat: "Die Wahrheit ist in der richtigen Verwendung der Sprache zu finden." Und diese beginnt mit der richtigen Verwendung der Begriffe, wie ich ergänze. Wenn z.B. gesagt wird "die Masse ist ein Teilchen" oder "Uhren messen die Zeit" so wird eben verkannt, dass Masse und Zeit physikalische Messgrößen und keine Sachobjekte sind.

Die Masse ist das Maß der Trägheit, die wir erfahren, wenn auf einen Körper eingedrückt wird, aus der wir dann auf die Menge der betroffenen Materie schließen. Die Zeit ist das Maß der Dauer, so wie die Energie das Maß der Arbeit ist, die ein Objekt leisten kann. Erst wenn wir das berücksichtigen wissen wir, von was wir sprechen, und können entsprechend richtig argumentieren sowie sinnvoll und effektiv forschen.

Was ich vortrage ist keine Theorie, sondern die durch unsere Erkenntnissituation bedingte einzig mögliche Praxis von Metrologen seit Anbeginn und weltweit, aber auch von jedermann. Und gemessen werden nicht Sachen, sondern Aspekte von Sachen wie z.B. der Aspekt der Länge einer Sache. Die Messkunde - die Metrologie – hat mit dem Faktum zu tun, dass alle Maßeinheiten – von den Metrologen "Normale" genannt – zuerst definiert und verordnet werden müssen, bevor man etwas verbindlich messen kann. Auch wenn man Einheiten anhand bekannter Erscheinungen definiert, z.B. die Sekunde als der 86.400 Teil eines mittleren Sonnentages, so ist es doch

immer der menschliche Geist, der sich in eigener Souveränität Messgrößen gibt. Denn wie will man ohne Vorgaben etwas messen? Erst wenn Maßeinheiten überall gelten und verstanden werden, kann es erst etwas geben, was das Prädikat "Messen" verdient.

Alles Verstehen beruht auf Konstanten, auf die man sich verlassen kann, nicht nur beim Messen. Wenn Einstein von der Relativität von Raum (Maß der Länge) und Zeit (Maß der Dauer) spricht, ist es kein Wunder, dass seine Relativitätstheorie als Synonym von Unverständlichkeit gilt, denn sie leugnet ja gerade das, auf was unser Verstehen beruht. Und Einstein verkennt, dass Maßeinheiten keine Frage der Wahrheit sondern der Geltung sind, also etwas Juristisches. Das nicht zu verstehen, ist auch heute noch der Kern des Problems, das Physiker bei Unkenntnis der Beobachterrolle mit dem Begriff des Messens haben. Hier gilt was schon Lichtenberg (1742 - 1799) in Bezug auf die Chemie sagte: Wer nur Physik versteht, versteht auch die nicht recht.

Ich werde in Berlin jedoch nicht nur vor dem Fachverband "Theoretische und Mathematische Grundlagen der Physik" vortragen, sondern auch vor der Arbeitsgruppe "Philosophie der Physik", der ich seit ihrer Gründung 2004 angehöre und die sicher aus der Einsicht des Vorstandes hervorgegangen ist, dass ohne Klärung ihrer Grundlagen die Physik kein Fundament hat, von dem aus man sicher urteilen kann. Hier habe ich den Beitrag "Physik in Literaturform" angemeldet, zu der z.B. das Gedicht "Die Lehre von der Allgewalt der Schwere" von und nach Goethe gehört. Wie man aus der Auflistung meiner DPG-Vorträge ersieht (WEGE DES DENKENS/Publikat./Vorträge), wird "Messen als Erkenntnisakt" mein 20. und voraussichtlich auch mein letzter Vortrag vor der DPG sein. In der Auflistung sieht man ferner, welche weiteren Texte ich für die Arbeitsgruppe vorgesehen habe und wo sie zu finden sind.

Helmut Hille


Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS / I. Rationale Grundlagen der Physik/A.Texte zur Wissenschaftstheorie
Text I/A6 "Messen als Erkenntnisakt"
(http://www.helmut-hille.de/messenal.html)

WEGE DES DENKENS / I. Rationale Grundlagen der Physik/C.Texte zur Kosmologie und Raumfahrt
Text I/C7 "Die Lehre von der Allgewalt der Schwere. Szene Faust/Newton"
(http://www.helmut-hille.de/schwere.html)

http://www.helmut-hille.de/messenal.html

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