museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2014
Mein erster DPG-Vortrag
15.04.2014
Auf Empfehlung eines Freundes trat ich 1994 der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) bei, wobei ich den Fachverband "Didaktik der Physik" wählte, in dem es um die Vermittlung von Physikwissen geht. Im März 1995 hielt ich vor diesem Fachverband in einer alternativen Gruppe in den Räumen der Gesamthochschule Duisburg meinen ersten DPG-Vortrag, der für mich auch heute noch einer der wichtigsten ist. Sein Thema war "Das Realprinzip als Erkenntnisstrategie", in dem es um die Unterscheidung von Sein und Schein geht. Ausgangspunkt war ein Vortrag des bekannten Philosophen und Psychologen Paul Watzlawick zur Erweiterung unserer Sichtweise durch den Faktor 'Beziehung". Beziehungen sind eine Leistung des Beobachters, so wenn er sagt, "dieser Apfel ist größer als jener". Beziehungen, lat. Relationen, existieren rein mental nur in seinem Anschauungsraum und entstehen durch geistige Verknüpfungen von Objekten. Durch Verknüpfung ordnet er Objekten ihm Verständnis gebende Eigenschaften zu, die sie nicht für sich selber haben, z. B. die des Größerseins, was eben schon ein Urteil über die Sache ist, aber nicht mehr die Sache selbst.
In den Naturwissenschaften muss es aber darum gehen, die Realität zu erfassen, wie sie für sich selber ist, weshalb es wichtig ist, zwischen Denken und Sein zu unterscheiden. Man muss also aufhören Relationen zum Gegenstand der Physik zu machen und muss sich stattdessen gedanklich auf die Realitätsebene begeben. Diese Forderung habe ich das Realprinzip genannt - ein von mir vorgeschlagener Terminus. Je klarer jemand durch die Erweiterung seiner Sichtweise erkennt, zu welcher Ebene seine jeweilige Aussage gehört, ein umso besseres Objektverständnis kann er gewinnen.
Oder wie schon der Vorsokratiker Parmenides sagte: "Denn nicht ohne das Sein wirst Du das Erkennen finden." Es ist also ein altes Problem, mit dem sich die Philosophie befasst, das ich wieder in das Bewusstsein der Forscher bringen möchte, die sich zu wenig bis gar nicht um solche erkenntniskritischen Fragen kümmern. Ich aber denke: wer sein Verstehen nicht versteht, versteht letztlich gar nichts, weil er nicht weiß von was er spricht, auch wenn er sich mit Gleichgesinnten scheinbar gut verständigen kann.
Das Realprinzip fordert, dass es der Forschung in erster Linie um reale Gegenstände und Realsysteme gehen muss. Realsysteme sind tatsächlich existierende Körper (wie die Erde) oder andere reale Erscheinungen, deren Teile durch etwas ihnen Gemeinsames bestimmt werden. Lebendige Wesen und dynamische
Gruppen sind ebenfalls Realsysteme. In der Physik sind es alle durch Kohäsionskräfte zusammengehaltenen Systeme, deren Verhalten z.B. durch die gemeinsame Schwerkraft bestimmt wird, wie das Planetensystem. Realsysteme verhalten sich gemäß ihrer eigenen Natur aber nicht gemäß von Beziehungen, die ein Beobachter für seine Zwecke herstellt und sieht.
Der kundige Leser wird bemerkt haben, dass es hier aktuell um eine Auseinandersetzung mit Einsteins Relativitätstheorie geht, die ganz auf Relationen setzt, war ihm doch ein Denken von der Sache her fremd, worin er von Ernst Machs "Denkökonomie" noch bestärkt wurde. Einzelheiten dazu möge man meiner Homepage WEGE DES DENKENS entnehmen (s. unten). Generell aber geht es mir darum, für das Realprinzip zu werben, weshalb ich auf insgesamt 12 DPG-Tagungen zu 20 Themen gesprochen habe, zuletzt dieses Jahr (2014) in Berlin zum Messbegriff. Der Vortrag "Messen als Erkenntnisakt" will zeigen, dass auch Messgrößen ebenso wie alle Messergebnisse etwas Geistiges sind.
Auch beim Messen werden Relationen hergestellt, nämlich zwischen einem Maßstab und einem Objekt, wodurch ein quantitatives Wissen gewonnen wird. In einer allgemeinen Sprachschluderei sprechen Physiker heute dagegen von Messgrößen gern so, als handele es sich bei ihnen um physikalische Gegenstände, wie z.B. die Masse, für die man am Cern in Genf jetzt sogar ein eigenes Teilchen gefunden haben will, das Higgsboson. Doch die Masse ist das Maß der Trägheit von Körpern, wenn auf sie eingewirkt wird, ebenso wie die Energie das Maß der Arbeit ist, die eine Sache leisten kann. Die Physiker sind also noch weit davon entfernt, korrekt und konkret von ihren Gegenständen und den Verfahren zu ihrer Erforschung zu sprechen. Erst wenn sie das tun, was sie natürlich erst noch lernen müssen, wird es wirklichen Erkenntnisfortschritt geben. Ich kann nur hoffen, dass sich mehr und mehr Mitstreiter für dieses eigentlich selbstverständliche Ziel finden.
Helmut Hille
Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS / I. Rationale Grundlagen der Physik
A.Texte zur Wissenschaftstheorie
Text I/A4 "Das Realprinzip als Erkenntnisstrategie"