museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2014
Neues vom Bewusstsein
15.06.2014
Nachdem man durch Messungen am Hirn festgestellt hatte, dass Entscheidungen des Unbewussten schon vorliegen, bevor der bewusste Mensch diese trifft, ist es bei vielen Hirnforschern und Physikern beliebt, den Menschen als fremdbestimmt anzusehen und damit einen "Beweis" für den von ihnen favorisierten Determinismus zu haben, der den Menschen aus seiner Verantwortung für sein Denken und Handeln entlässt.
Einer der Protagonisten dieser Auffassung ist der Neurobiologe Wolf Singer, Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main und Mitautor des Manifests der Hirnforscher von 2004.
Anlässlich des zehnjährigen Vorliegens dieses Manifests hat ihn der bekannte Wissenschaftsmoderator Gert Scobel zu einer Diskussion eingeladen, die am 3. April von 3SAT gesendet wurde. Ich konnte mich daraufhin nicht enthalten Scobel am nächsten Tag eine E-Mail über Herrn Singer zu senden, dessen Buch von 2002 "Der Beobachter im Gehirn" ich einst besprochen hatte (s. unten)
Ich schrieb ihm u.a.: "Herr Singer sieht zwar, dass vieles Interpretation ist, was wir sagen, doch will er wegen des objektivistischen Dogmas nicht zugeben, dass das Gehirn generell ein interpretierendes Organ ist. Auch mit der Willensfreiheit tut er sich schwer, weil er vom Determinismus nicht lassen kann. Er hat also massive weltanschauliche Probleme, die er sich nicht klarmacht. Die Idee, dass Vorgaben des Unbewussten uns fremdsteuern, setzt stillschweigend eine Trennung von Unbewussten und Bewussten voraus. Aber das Bewusstsein ist selbst nur das Korrektivorgan des Unbewussten, um seine Entscheidungen überprüfen zu können. Beides ist eines und wir sind es selbst. Wo das geleugnet wird, folgt man nur der Taktik des Gehirns, sich nicht in die Karten schauen zu lassen, um weiterhin Plausibilitäten als objektive Wahrheiten verkaufen zu können. Man ist also hereingefallen."
Um nun zu wissen, ob nicht bereits andere Autoren die Definition vom Korrektivorgan verwendet haben, habe ich bei Google und bei einer Metasuchmaschine nachgeschlagen. Doch es wurde mir immer nur meine eigene Definition angeboten, weshalb ich mich als Erfinder dieser Formulierung ansehen darf.
Der Ausdruck "Korrektivorgan" (Duden, 25. Auflage: "Korrektiv = Besserungs-, Ausgleichsmittel") selbst findet sich bei Google aber durchaus und auch in meinem Sinne, aber in Zusammenhang z.B. mit der Aufgabe des Bundespräsidenten als Korrektivorgan der Politik neben dem Bundesverfassungsgericht oder der Gewerkschaft gegenüber der Wirtschaft.
Dabei hatte ich aber selbst schon lange das Verhältnis von Bewussten und Unbewussten so gesehen, weshalb ich mit dem Unbewussten immer gut zusammen arbeiten konnte, ist es doch auch ein rationales Organ, das selbstständig denkt und das Bewusstsein nur ein reflektierender Spiegel desselben.
Die stillschweigende Trennung von Bewusstsein und Unbewussten ist selbst wieder das Ergebnis antagonistischen menschlichen Denkens in Gegensätzen, dessen Missverständnisse das abendländische Denken geprägt haben. Zusammenfassend kann ich sagen, dass mein größtes Anliegen die Überwindung des Antagonismus war und ist, wovon es in meinem Vermächtnis (s. unten) eine Aufzählung gibt. Nun konnte ich auch noch meine Definition des Bewusstseins als ein Korrektiv-Organ des Unbewussten dieser Liste hinzufügen.
Helmut Hille
Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS, III. Die Hervorbringung des Menschlichen
Datei III/4 Anmerkungen zu Schriften zur Erkenntnistheorie
Wolf Singer/Der Beobachter im Gehirn
und sofort anschließend in meinen Kommentar zum SPIEGEL SPECIAL 4/2003
"Die Entschlüsselung des Gehirns/1. Noch einmal Wolf Singer"
"Mein Vermächtnis" findet sich in der Datei II/13 "Das Bewusstsein des Seins. Letzte Gedanken" (ego.html)