museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2015

Was ist Leben?

15.06.2015

Sich selbst zu verstehen, heißt, sich als lebendiges Wesen zu verstehen. Von daher lautet die auch für den Philosophen wichtigste Frage: Was ist Leben? Sie ist das philosophische Universalproblem, in dem alle anderen Probleme wurzeln,

Gern wird das Leben anhand seiner Folgen beschrieben, wie Anpassung, Kreisläufe, Fortpflanzung, Zielstrebigkeit usw. Selbst Maturana kommt mit der "Autopoiese" über die Beschreibung des Phänomens "Lebens", als eines sich selbst reproduzierenden Prozesses, nicht hinaus.

Heute versucht man, in der so beliebten reduktionistischen Sicht, uns weiß zu machen, das Leben wäre nur ein Zwischenstadium egoistischer Gene. Richtig am "egoistischen Gen" ist der Egoismus des Lebens, wenn dabei nicht übersehen wird, dass zum Überleben notwendig auch altruistische Verhaltensweisen gehören, z.B. zwischen Mutter und Kind oder in einer sich gegenseitig unterstützenden Gruppe.

Was Leben ist, erkennt man m.E. am besten an den allereinfachsten Strukturen, am deutlichsten sogar an jenen, die Biologen nur ungern oder gar nicht als "Leben" akzeptieren möchten: an Viren und Prionen. Ihre Existenz belegt die Unzulänglichkeit der üblichen Auffassung von Leben, die sich an den für uns auffälligsten Lebenserscheinungen orientiert und die den eigentlichen brutalen Charakter von Leben nicht wahr haben will.

Aber gerade Viren und BSE-Prionen demonstrieren ganz klar und ohne Schnörkel, was das Leben ausmacht: Leben ist die Fähigkeit einer materiellen Struktur, fremde Strukturen in die eigene zu verwandeln, letztlich mit dem Ziel, sich selbst zu reproduzieren, was die einzige Aufgabe von Lebewesen ist.

Diese aneignende Vorgehensweise des Lebendigen ist durchgehend: von den BSE-Prionen, die gesunden Prionen des Gehirns ihre Faltung aufdrängen, über die Assimilation der Nahrung zum Aufbau und zur Erhaltung des eigenen Körpers, über die Erzeugung von Nachkommen bis hin zu unserer Wahrnehmung und unserem Verständnis der Dinge.

Bei letzterem Vorgang werden fremde Erscheinungen - in Ermangelung eines objektiven Wissens - mit eigenen und weiteren vertrauten Eigenschaften belegt, worauf wir dann meinen, das Fremde zu verstehen. Das ganz selbstverständliche Aneignen des Fremden durchzieht auch die menschliche Geschichte, gipfelnd in der Kolonisierung fremder Völker, mit allen schrecklichen Folgen für sie und ihre Kultur. Und es hat eine übermächtig gewordene Menschheit das Umweltproblem beschert. Um die Schöpfung nicht bis zur Erschöpfung zu strapazieren, ist es für die globale Menschheit und Wirtschaft unabweisbar geworden, Nehmen und Geben wieder in ein Gleichgewicht zu bringen, also unsere, sich den Planeten aneignende Strategie zu bedenken und die immer behauptete Angepasstheit des Lebens tatsächlich herzustellen.

Die fast unausrottbare falsche Rede - vom Leben als einem Prozess der Anpassung -, verdeckt in fataler Weise die tatsächlich vorhandenen Defizite für ein dauerhaftes Überleben der Menschheit. Aber Leben ist kein Prozess der Anpassung sondern der Überwältigung.

Nur das Ergebnis der Selektion sich verzweigender Arten erscheint dem Beobachter im Nachhinein, als hätten die Organismen sich angepasst. Auch hierbei schließt der Beobachter in Selbstreferenz, wie sonst auch, von sich auf andere, ist doch die Taktik des Anpassens die dem schlauen Beobachter eigene Strategie, weshalb sie ihm so plausibel erscheint. Rein phänomenal kann man zwar sagen, dass die Mimikry von Lebewesen ihre Anpassung an die Umgebung ist, um auf diese Weise einen Vorteil zu erlangen. Essentiell jedoch ist Mimikry die Überwältigung einer fremden Form zum eigenen Nutzen.

Helmut Hille

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS
III. Die Hervorbringung des Menschlichen
III/2 "Die Genese des Lebens und des Wissens"

http://www.helmut-Hille.de/page25.html

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