museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2015

Alles, was Sache ist

15.09.2015

Zum Überleben war es immer wichtig, sein Gegenüber zu verstehen, sei dieses etwas Belebtes oder Unbelebtes, von dem eine Gefahr ausgehen könnte, um auf sie rechtzeitig reagieren zu können, oder sei es eine Ressource, um sie erfolgreich nutzen zu können. So hat die Evolution im Menschen mehr und mehr ein Ursachendenken entwickelt, dass ihm einerseits das Überleben unter Bedrohung ermöglichte, andererseits ihm einen Sachverstand schenkte, aus dem letztlich die technischen Zivilisation hervorgegangen ist.

Das Erkennen von Ursachen wird im Alltag dem instinktiven "gesunden Menschenverstand" zugerechnet, der unverzichtbar ist, auch wenn er manchmal zu kurz greift. Letzteres ist jedoch kein Grund, ihn zu verachten, wie manche Physiker es propagieren, um ihre nicht nur dem Publikum unverständlichen Thesen gerechtfertigt dastehen zu lassen.

Im Deutschen haben wir, neben zahlreichen anderen, die wunderbare Wortschöpfung "Ursache", wo eben eine Sache die Ur-Sache ihrer Folgen ist. Die Welt so zu sehen, ist auch heute noch nicht selbstverständlich. Wer Sachen/Dinge zu wenig versteht, sucht gern etwas hinter den Sachen/Dingen, was diese steuern würden, wie Gottes helfende Hand, oder wie der Pantheist Protagoras sagte: "Alles ist voller Götter", weil der Mensch in Analogie zu sich selbst das Bewirkende sich sehr oft nur in Form von etwas Lebendigen vorstellen kann.

Wie nach religiöser Überzeugung Gott alles in seinem Sein erhält, so suchen Physiker in ihrer Teilchentheorie heute nach einer Macht hinter den Dingen, welchen ihnen ihre Trägheit, genannt "Masse", verleihen würde: das Higgsfeld, statt wie Newton in seiner "Principia" in Definition III einfach zu sagen, dass die physikalischen Körper ihre Trägheit "von sich aus" haben. In seinen  berühmten Axiomen hat er diese These jedoch nicht wiederholt, um sich vor den Angriffen der Religiösen zu schützen, für die eine solche Annahme Gotteslästerung war. Das aus dem Higgsfeld im LHC in Cern mit sehr viel Energie herausgeschlagene Higgsboson wäre demnach ein "Gottesteilchen", das man Gott entrissen hat. Aber das ist eben nur die

deterministische Interpretation des Sachverhalts, vor der schon Augustinus warnte: "Wer immer hinter die Dinge zu sehen versucht, sieht am Ende die Dinge selber nicht mehr." Sich zu getrauen wie Newton zu sagen, dass die Teilchen ihre Trägheit "von sich aus" haben, erledigte sofort das "letzte Problem" der Teilchenphysik, das vorurteilsfrei gesehen gar keines ist.

Neben der Ursache als Ur-Sache kennen wir noch die dazugehörigen Wörter "Sachverhalt" und "Sachverstand". Der Sachverständige vor Gericht muss dazu nicht im Besitz einer absoluten Wahrheit sein, weil das Gericht in seiner Weisheit eine solche nicht erwartet, sondern er muss mit dem letzten Stand der Erkenntnis vertraut sein, um sein Urteil abgeben zu können.

Auch das Urteil als Ur-Teil ist so eine wunderbare Wortschöpfung, die zur Ur-Sache gehört. In meinem Philosophischen Wörterbuch heißt es dazu etwas umständlich: "Wenn es Bedingungen gibt, unter denen der Sachverhalt steht, so sind durch das Urteil diese Bedingungen ebenso kategorisch mitgesetzt." Aber weil eben Irren menschlich ist, gibt es auch Obergerichte, bei denen man in Berufung gehen bzw. Revision einlegen kann.

Ein weiteres wunderbares Wort im Deutschen ist "selbstverständlich", das als Stichwort leider in keinem Philosophischen Wörterbuch zu finden ist. Für mich ist es jedoch ein Schlüsselwort, denn es gibt kein tieferes und sicheres  Wissen, als das, was sich von selbst versteht, wie z.B. dass 1 + 1 = 2 ist. Auf  solchen Selbstverständlichkeiten beruht unser Verstehen der Welt. Sie sind unser geistiges Fundament! Wenn wir das verstehen, werden wir uns als rationale Wesen selbst-verständlich. Darum muss es doch gehen!

Helmut Hille

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS
I. Rationale Grundlagen der Physik
I/A2 Prinzipien und Axiome

http://www.helmut-hille.de/diemetho.html#7

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