museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2016
»Der bestirnte Himmel über mir ...«
15.03.2016
Dies ist gewissermaßen eine Fortsetzung meiner vorhergehenden Sentenz "Emergenz - der Schlüssel zum Verstehen der Welt". Emergenz ist dabei die Weltformel ohne Formel und steht für ein offenes Universum, in dem immer wieder ungeplant Neues entsteht, was auch Raum für menschliche Freiheit und Verantwortung lässt. Jetzt kommt es darauf an, Mensch und Welt in einem zu sehen. In meinen Vortrag von 2009 vor der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, der für eine "Kosmologie ohne Scheuklappen" warb, nannte ich als Ziel des Nachdenkens (Zitat): "Der gegliederte Kosmos ist die größtmögliche Darstellung eines emergenten Phänomens, während vernunftbegabtes Leben die am stärksten emergente Erscheinung ist, von der wir wissen. Ich denke, die Gemeinsamkeit beider angemessen zu verstehen, ist die größte Herausforderung eben dieser Vernunft."
Wie ich später feststellte, hat diese Herausforderung auch schon Kant bewegt, als er in der "Kritik der praktischen Vernunft" den bekannten Satz schrieb: "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. ... (und wie) ich mich mit allen jenen sichtbaren Welten nicht wie dort in bloß zufälliger, sondern (in) allgemeiner und notwendiger Verknüpfung erkenne."
"Der bestirnte Himmel über mir" nimmt Bezug auf Newtons Dynamik, welche mit Hilfe "der Zentripetalkraft" (Schwerkraft), als eine allgemeine Eigenschaft aller Materie, das Kreisen der Planeten um die Sonne erklärt. "Das moralische Gesetz in mir" ist Folge der Verantwortung, die der Mensch aufgrund seiner Freiheit für sein Denken und Tun hat. Um sich jedoch nicht verantwortlich zu sehen, sind ängstliche Menschen lieber Deterministen und glauben, dass alles von Gott oder vom Schicksal vorherbestimmt ist, was man heute aufgrund der Mächtigkeit der Menschheit nur "verantwortungslos" gegenüber unsere Zukunft nennen kann. Einstein als Autist wollte da nicht einmal Gott eine Freiheit bei der Schaffung der Welt zugestehen, geschweige den Menschen in ihrem Tun.
In der Einsteinbiographie von Jürgen Neffe heißt es dazu auf Seite 357: "Vor allem der 29. Lehrsatz Spinozas in der Ethik hat es Einstein angetan: "In der Natur gibt es kein Zufälliges", heißt es da, "sondern alles ist vermöge der Notwendigkeit der göttlichen Natur bestimmt, auf gewisse Weise zu existieren und zu wirken." Gott darf nicht einmal Zufall spielen. ... " " Gott würfelt nicht." Weil der Mensch dadurch moralisch entlastet ist, finden das viele samt seinem Autor sympathisch und versuchen zu ihrer Vergewisserung mit aller Macht die "Richtigkeit" seiner übrigen Thesen "zu beweisen". Die Lauterkeit der Argumentation bleibt dabei unvermeidlich auf der Strecke.
Für mich ist das Philosophieren das Ringen um die Freiheit des Geistes. Das gelingt am besten, wenn man mit Hilfe der Hirnforschung versteht, wie das Gehirn arbeitet. Das nennt man Neurophilosophie. Dabei muss man sich nicht einmal mit vielen Einzelerkenntnissen der Hirnforschung plagen. Bereits, dass wir es mit zwei nur über einem Kanal, dem Corpus Callosum, verbundene Hirnhälften mit unterschiedlichen Funktionen zu tun haben, gibt den entscheidenden Hinweis: in der Regel versucht die linke Gehirnhälfte das zu formulieren, was die rechte Gehirnhälfte weiß, wobei dieses Wissen als Weltbild jedoch nur kompakt als Extrakt vorliegt. Wenn wir das Gefühl haben, dass das von jemand Gesagte mit dem von uns Gewussten übereinstimmt oder sich aus ihm als logische Folgerung ergibt, sind wir geneigt, es für "wahr" zu halten.
Der Wahrheitsanspruch bezieht sich immer auf unser Wissen – wie zutreffend es auch sei! Kein Mensch wird doch ernstlich eine Aussage über etwas "wahr" nennen wollen, von dem er nichts weiß! Wenn wir uns also klar gemacht haben, dass wir als Lebewesen nicht nur biologisch sondern auch mental selbstreferentiell sind, bleiben wir tolerant und für neue Erfahrungen und Erkenntnisse geistig offen – so offen wie das Universum eben. Nur so, können wir das Leben meistern!
Helmut Hille
Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS
II. Das Verhältnis von Denken und Sein
(7a) Was ist und wie entsteht Information? oder Die Rolle des Beobachters