museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2016

Grenzen des Denkbaren

15.05.2016

Es ist selbst schon eine Erkenntnisleistung und zeugt von großer Gewissenhaftigkeit, Grenzen der Denkbarkeit zu erkennen und zu respektieren, wobei diese Grenzen auch vom Stand gesicherter naturwissenschaftlicher Erfahrung abhängen und den durch sie gewonnen Begriffen. Die Philosophie bezeichnet das, was die Grenze des Bereiches möglicher Erfahrung übersteigt als Transzendenz. Immanuel Kant (1724 – 1804) versuchte mit seiner  sehr umfangreichen "Kritik der reinen Vernunft" diese Grenze zu ziehen, wobei der Titel schon für das Dilemma menschlicher Vernunft steht - als könne der Mensch noch einen Standpunkt jenseits dieser "reinen Vernunft" einnehmen und sie von daher beurteilen. Dabei ist es ganz einfach: da die Vernunft unser höchstes Vermögen ist, kann es bestenfalls eben "nur" vernünftige Urteile und Wahrheiten geben, d.h. solche, die rational nachvollziehbar sind. Und indem wir unsere Vernunft schärfen, können wir uns der Grenze des Denkbaren von innen nähern.

Dabei gibt es natürliche Grenzen des Denkbaren sowie verordnete oder vereinbarte Grenzen. Letztere sind dann besonders wirksam, wenn sie nicht thematisiert werden, sondern wenn von den interessierten gesellschaftlichen Gruppen so getan wird, als handele es sich um Selbstverständlichkeiten, z.B. das alles in der Welt nur rein materiell "erklärt" werden könne. Dieser Haltung entspricht z.B. die Behauptung, dass das Bewusstsein "noch quantenmechanisch erklärt werden müsste", als wäre dies die einzige Möglichkeit, Neuronales zu verstehen. Doch das Neuronale ist eine neue Ebene der Wirklichkeit die sich nicht reduzieren lässt. Oder man beruft sich auf ein einsames "Genie", dessen Gedanken nicht übertroffen werden könnten, was allerdings nur jemand wissen könnte, der einen noch größeren Überblick hat.

Friedrich Nietzsche (1844-1900) machte dazu die hellsichtige Feststellung "Nichts ist schädlicher einer guten Einsicht in die Cultur, als den Genius und sonst nichts gelten zu lassen. Das ist eine subversive Denkart, bei der alles Arbeiten für die Cultur aufhören muß" (aus seinem Nachlass Frühling-Sommer 1878). DUDEN 25. Auflage: subversiv (zerstörend, umstürzlerisch). So den Vordenker in den Himmel gehoben wird subversiv alles geistige Bemühen um eigenständige Erkenntnis abgeblockt.

Nun gibt es nicht nur für Religiöse "heilige Bücher", die nicht hinterfragt werden dürfen, sondern auch da, wo es angeblich um vorurteilsfreie Erkenntnis gehen sollte, in der Wissenschaft. Da versuchen eifrige "Forscher" ihren Wissensbesitzstand gehen alle neue Erkenntnis abzuschirmen, sei es aus Eitelkeit, Dogmatismus oder aus Gewinnstreben. Wussten Sie, dass alle Veröffentlichungen in den Wissenschaftsmedien einer nicht greifbaren anonymen Zensur unterliegen, Pree-Review genannt, mit der nicht diskutiert werden kann? Angeblich zur "Sicherung der Qualität", tatsächlich aber zur Ausblendung aller unerwünschten Fakten und Meinungen. Wir haben es hier mit einer hermetischen, sich nach innen und außen abschottenden Wissenschaft zu tun, in der wirklich Neues unerwünscht ist, da es die Machtverhältnisse destabilisieren könnte.

Hierzu ein Beispiel: "Ich denke, dieser fundamentalistische Justamentstandpunkt Weinbergs in seinem Buch "Der Traum von der Einheit des Universums" zur Abwehr einer kritischen Hinterfragung ist seinerseits geeignet, die Analyse der philosophischen Relativisten zu bestätigen, dass das, was die Wissenschaft als Realität ansieht, oft genug ein soziales und sprachliches Konstrukt sei, und daß es sich bei der vielgerühmten wissenschaftlichen Objektivität letztlich um den Ausdruck von Machtstrukturen handle, aufgrund derer sich die Wissenschaft durchsetzt." (Prof. Dr. Felix Mühlhölzer, Professor für Philosophie an der Georg-August-Universität Göttingen)

Als mündige und weltoffene Bürger sollten wir unsere inhaltlichen Überzeugungen immer ohne jede Ängstlichkeit unter Revisionsvorbehalt stellen können, wollen wir nicht die Knechte sondern die Herren unserer Meinungen sein. Daher ist in ihrer Intention die Philosophie das Ringen um die Freiheit des Geistes. Diese Freiheit bedingungslos zu lieben ist Voraussetzung dafür, dass sie glücken kann.

Zum Weiterlesen:
ZEIT UND SEIN
Philosophie kurz und bündig
Erhellungen von Helmut Hille
Text in Versform [24]
Grenzen der Erfahrbarkeit und des Verstehens

http://www.helmut-hille-philosophie.de/verstehen.html

Ausgezeichnet.org