museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2016
Wie tot ist Materie?
15.06.2016
Mineralische Materie macht auf uns zuerst einmal den Eindruck, dass sie tot ist, besser gesagt: unbelebt. Denn tot kann ja nur etwas sein, das vorher gelebt hat. Ein Stein also ist unbelebt, tut nichts um seine Situation von selbst zu ändern. Und aus diesem Unbelebten soll durch Evolution das Leben hervorgegangen sein? Da ist die Erklärung durch einen schaffenden Gott doch viel plausibler!
Heute wissen wir dank der Wissenschaft, dass Materie keineswegs tot oder unbelebt ist. Einstein hat mit seiner berühmten Gleichung E = m x c2 (c-Quadrat) uns eine Vorstellung davon gegeben, wie viel Energie in einer solchen Materie steckt. Seine Anhänger deuten die Gleichung als das Maß der Umwandlung von Materie in Energie, obwohl Einstein selbst eigentlich glaubte, die Trägheit der Energie entdeckt zu haben. Aber es ist noch ganz anders: es gibt gar keine unbelebte Materie, die "umgewandelt" werden könnte, was eine alte alchimistische Vorstellung ist, die dem Gedanken zugrunde lag, durch Umwandlung Gold herstellen zu können, um die Finanznot der Herrscher zu beheben.
Alle materiellen Körper sind Formen der Energie, deren Bausteine sich in verschiedenen Verbindungen zeigen und die Bindeenergie zwischen den Teilchen ist es, die bei Nuklearbomben freigesetzt wird, wie schon Heisenberg wusste. Und Teilchenbeschleuniger zerlegen die rasenden Teilchen beim Zusammenstoß einfach in neue Muster von Energien. Alles Existierende ist also portionierte Energie, die bei Beständigkeit der Form den Eindruck von unbelebter Materie vermittelt. Die ist eben nur der äußere Anschein der Dinge. Aber durch Zufall, Versuch und Irrtum haben unsere Vorhaben herausgefunden, wie z.B. durch Feuer solche Materialien, z.B. erzhaltiges Gestein, genutzt werden kann. Nicht zufällig folgen der Steinzeit Eisen- und Bronzezeit als Stadien der Entwicklung der menschlichen Kultur. Auch der von uns bewohnte Kosmos unterliegt einer Evolution. Aus den einfachsten
Verbindungen am Anfang, dem Wasserstoff, sind letztlich alle Elemente hervorgegangen. Diese wurden zumeist bei der Explosion sterbender Sterne erzeugt und gingen verschiedene Verbindungen ein, weshalb es selbst im Weltraum zwischen den Sternen organische Stoffe wie Kohlenstoff gibt. Neben der vom "Urknall" erzeugten kosmischen Fliehkraft, die alles auseinander treibt, gibt es die ebenfall aus dem "Urknall" hervorgegangene Schwerkraft, die durch Verschränkung aller betroffenen Teile diese wieder zueinanderhin streben lässt. Durch sie sind alle Himmelskörper und ihre Organisationen wie Galaxien entstanden und haben das Weltall zum Leuchten gebracht. Sternensysteme wie unser Sonnensystem sind mit ihrer langen Daseinsdauer dabei Ausdruck eines Gleichgewichts beider Kräfte.
Wenn wir also begreifen, das da, wo wir unbelebte Materie sehen, es ungeheure gebundene Kräfte gibt, die ständig miteinander "ringen" und die von Natur aus eine Verbindungsneigung haben, dann kann man sich schon eher vorstellen, dass unter geeigneten Bedingungen auch einmal Leben entsteht, das leben will und das durch Mutation der Erbinformation sich immer mehr verzweigt. Alles in der Welt ist dynamischer Natur. Es gibt da nirgends einen Stillstand, wie ihn besorgte Menschen sich wünschen. Auch die menschliche Geschichte ist ein Spiegelbild dieser Dynamik, die es deshalb zu berücksichtigen gilt, wenn wir auf der Höhe der Zeit bleiben wollen, um von ihr nicht überrollt zu werden.
Helmut Hille
Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS
Die Kolumne vom Januar 2004
"Hat alles einen Anfang?"