museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2016
Ist die Kosmologie nur eine Sache von Physikern?
15.08.2016
Reine Physiker gibt es noch gar nicht solange. Newton (1643 – 1727) sah sich noch als Naturphilosoph. Erst mit der Zunahme des Wissens und der Spezialisierung wurden aus Naturphilosophen Naturwissenschaftler, die sich von der Philosophie mehr und mehr abwandten mit teils schlimmen Folgen. Seit Anfang der abendländischen Geistesgeschichte aber waren es die Philosophen, die sich über den Aufbau des Himmels und den Ursprung der Welt Gedanken machten. Besonders die Vorsokratiker, die noch ungeniert nach der Wahrheit fragten, hatten da Gedanken, die m.E. bis heute nicht veraltet sind.
Schon von Anaximander aus Milet (um 611 – 545 v. Chr.), ganz am Anfang aller griechischen Philosophie, ist überliefert: "Der Ursprung der seienden Dinge sei das Unbegrenzte. Denn aus diesem entstehe alles und zu diesem vergehe alles. Weshalb auch unbeschränkt viele Welten produziert werden und wieder vergehen zu jenem, aus dem sie entstehen." Für ihn war also die Welt voller Dynamik.
Bekannter ist da Heraklit (ca. 544 – 483 v. Chr.) mit seinem Ausspruch "panta rhei" (alles fließt) und der Aussage "Die gegebene schöne Ordnung aller Dinge [genannt der Kosmos], dieselbe in allem, ist weder von einem der Götter noch von einem der Menschen geschaffen, sondern sie war immer, ist und wird sein: Feuer, ewig lebendig, nach Maßen entflammend und nach [denselben] Maßen erlöschend." "In diesem ewigen Auf und Ab wird aus Einem alles und aus allem Eines. Alles fließt, aber in diesem Fließen waltet der Logos als Gesetz …" Die Dynamik allen Geschehens war diesen Philosophen ganz selbstverständlich.
Es ist einfach ein Anliegen der Philosophie alles und das Ganze zu bedenken, während Physiker mehr geneigt sind, die Kosmologie zur Stützung ihrer Überzeugungen einzusetzen. Am Ende des 19. Jahrhunderts, der beunruhigenden Dynamik abgeneigt, wünschte man sich eher ein statisches Universum. Anfang des 20. Jahrhunderts ersann Einstein dazu sogar einen durch keinerlei Fakten belegten rein mathematischen kosmologischen Term, welcher die Dynamik der Welt ausbremsen sollte. Der Autor des Artikels "Das Universum nach Einstein", Prof. Norbert Straumann, fragt: "Weshalb war Einstein so darauf versessen, ein statisches Modell zu konstruieren?" Ja, es war nicht so sehr wissenschaftlicher Eifer sondern eher Panik, die ihn als Autisten nach einem konstanten Universum suchen lies. Aber dann entdeckten die
Astronomen die Rotverschiebung des Lichts entfernter Galaxien, die ihnen ihre "Flucht" von uns weg nahe legten, weshalb Einstein nach langer Auseinandersetzung mit dem Phänomen seinen Term verwarf.
Doch es wäre gar nicht nötig gewesen, auf Hubbles Entdeckung der Rotverschiebung und die Urknallthese zu warten, denn jeder Kosmologe müsste sich doch fragen, was die Quelle der gewaltigen Energie ist, die riesige Sternensysteme herumwirbeln lässt. Aber sie fragen einfach nicht! Daher gibt es noch immer Anhänger eines statischen oder pulsierenden Universums ohne Urknall, die nicht so recht an den ungemütlichen Big Bang glauben können. Lieber reden einige bei der Rotverschiebung davon, dass das Licht auf seinem langen Weg zu uns "ermüden" würde wie ein Wandersmann auf einem langen Marsch. Dabei kennt das Licht, wie jedes andere physikalische Objekt, weder Weg noch Müdigkeit, sondern verharrt lediglich in seinem ausgesandten Zustand, solange keine Kraft, wie die Schwerkraft, an ihn angreift (Newton, 1. Axiom).
Wegstrecken und Geschwindigkeiten scheinen ja immer erst dann auf, wenn Beobachter Dinge miteinander in Beziehung setzen. Doch sie selbst bleiben von sich aus wie und was sie sind. Was gibt es daran nicht zu verstehen? Kann etwas noch selbstverständlicher sein?
Nur jemand der auf die Empfindlichkeiten einer Community nicht Rücksicht nehmen muss und dem es vorurteilsfrei um das Ganze in seinem Zusammenhang geht, wie ein Philosoph, ist unabhängig genug, um wie die Vorsokratiker nach der Wahrheit, und nichts als der Wahrheit zu suchen. Auf diese Weise sind in Ernsthaftigkeit auch meine Texte zur Kosmologie entstanden.
Helmut Hille
Zum Weiterlesen:
ZEIT UND SEIN
Erhellungen von Helmut Hille
mein DPG-Vortrag von 2005
Antike Denker für ein dynamisches Universum ohne Grenzen in Raum und Zeit