museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2016

Das Geheimnis der Geburt

15.12.2016

Es war wiedereinmal Zeit, zuhause für die Weihnachtsdeko zu sorgen. Zuerst stellte ich den Lichterbogen auf. In dessen Mitte steht die Geburtsszene mit der Anbetung des Kindes durch Maria und Josef, den Hirten und den Heiligen Drei Königen. Und wie ich die Szene so auf mich wirken liess, kam sie mir wie ein Gleichnis vor, dass sie zwar sowieso ist, aber die Geburt selbst als ein Gleichnis von noch viel allgemeinerer Art.

Alles in der Welt beginnt mit einer Geburt. Sogar der von uns bewohnte Kosmos hat einmal angefangen zu existieren und man weiß nicht, wo er herkam und warum er da ist, während – wie ich denke – das Universum selbst ohne Grenzen in Raum und Zeit ist und somit der Ursprung von allen. Und wie das Kind in der Krippe zwar eine irdische Mutter hat, Maria, als Vater aber den Heiligen Geist, der nicht von dieser Welt wäre, so ist eigentlich jede Geburt von einem Geheimnis umgeben. Mit jeder Geburt kommt etwas Neues in die Welt, was vorher nicht da war. Und selbst wenn uns beide Eltern bekannt sind, ist das Kind doch etwas von ihnen Verschiedenes. Der Vorsokratiker Parmenides (um 540 - 480 v.Chr.) formulierte das so: "In der Mitte (des Weltsystems) aber ist die Göttin, die alles lenkt; sie waltet überall der weherfüllten Geburt und Mischung und sendet das Weib dem Manne, den Mann dem Weibe zur Paarung." "Denn es ist immer dasselbe, was da als Art der Glieder auch in den Menschen sinnt: bei allem und jeden - das Mehr an Mischung nur ist ihnen Gedanke."

Das ist das Geheimnis des Schöpferischen, dass aus etwas Bekanntem durch "Mischung" Neues entsteht. Es ist zwar auch geheimnisvoll, dass sich Zellen teilen, doch entsteht jedesmal wieder dieselbe Zelle. Aus einer

Vereinigung verschiedener Partner aber tritt etwas Neues in die Welt. So ist es schon bei den Atomen. Aus der innigen Verbindung von Wasserstoff, dem einfachsten Atom, mit Sauerstoff entsteht Wasser, von dem man bis heute nicht weiß, wo es zu dieser Verbindung kam: im Weltall oder hier auf der Erde. Aber das chemisch Neue entsteht immer nach außen hin, während die Bestandteile des Atoms immer die gleichen sind, nur in verschiedener Anzahl und Anordnung.

Da man in allen Bereichen das Neue, was da kommt, den beteiligten Partnern nicht ansieht, es also nicht abgeleitet und damit vorausgesagt werden kann, beunruhigt es jene, die glauben und wünschen, zur inneren und äußeren Sicherheit alles genau berechnen zu können. Das gelingt schon bei den Quanten nicht, weshalb Physiker sich bei ihnen mit Wahrscheinlichkeiten zufrieden geben müssen. Wer genügend sensibilisiert ist, wird sich den Dingen mit einer gewissen Demut nähern, in der weisen Einsicht, dass die Realität alle Denkbarkeit übersteigt. Der Wissensillusionen ledig, fängt der Weise an zu verstehen. Lassen wir gelten, dass es das Geheimnisvolle der Geburt gibt, dann bleiben wir in der Fülle des Seins, von der der Heilige Geist als Metapher des Geheimnisvollen ein Zeichen ist.

Helmut Hille
 
Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS
III. Texte zur Biologie, Evolution und Ethik
(1a) Die Generierung des Geistigen. Ein Beitrag zur Neurophilosophie

http://www.helmut-hille.de/page24.html

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