museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2017

Hat die Welt einen Anfang? (II)

15.09.2017

"Jede letzte Tatsache ist nur die erste einer neuen Reihe; jedes allgemeine Gesetz erweist sich als Teil eines noch allgemeineren Gesetzes, das nur darauf wartet, sich uns zu erschließen und unseren Horizont zu erweitern." (Ralph Waldo Emerson 1803 - 1882)

Es ist auf Grund der Beobachtungen von Astronomen richtig zu sagen, dass der von uns beobachtbare Kosmos (wie ihn die Griechen nannten), einen Anfang hatte, ein Ereignis, im Englischen korrekt "Big Bang", im Deutschen gern mythisch verklärt "Urknall" genannt. Der Urknall wäre dann der Urknall unseres Kosmos, der – wie man heute weiß -  sich zunehmend beschleunigt in den Weiten des Weltraums verliert, was bei manchen Zeitgenossen ein leichtes Gruseln verursacht. Es käme also darauf an, über den Tellerrand, sprich Kosmosrand, hinaus zu denken und auf Grund des Energieerhalts zu sagen: Die Kosmen kommen und gehen, doch die Energie, das Universum bleibt. Oder wie es schon in einem der ältesten Sätze der antiken Philosophie heißt: "Der Ursprung der seienden Dinge ist das Unbegrenzte. Denn aus diesem entstehe alles und zu diesem vergehe alles. Weshalb auch unbeschränkt viele Welten produziert werden und wieder vergehen zu jenem, aus dem sie entstehen." (Anaximander aus Milet, ca. 611 - 545)  Damit wäre dann das zeitliche Gottesproblem durch die Erweiterung des Denkhorizontes ganz unspektakulär gelöst. Sein ist - ohne Wenn und Aber.

Es bleibt jedoch die Frage nach der schöpferischen Kraft, die in den Dingen waltet, wie wir sie gerade im Lebendigen mit seiner unendlichen Vielfalt wirksam sehen. Darwin hat da zwar viel zur Aufklärung der Gründe von Vielfalt beigetragen, aber doch nicht die Frage beantworten können, wie überhaupt das Lebendige in die Welt gekommen ist und wie es zur Entstehung von Bewusstsein und Geist kam, den Materialisten aus ideologischen Gründen deshalb lieber gleich leugnen. Dabei ist nichts so rein geistig wie eine Ideologie.

Die am Lebendigen überwiegend zu beobachtende Art der Fortpflanzung ist die der  geschlechtlichen Vermischung zweier DNA-Stränge verbunden mit der Neukombination ihrer Chromosomen (Meiose), trotz aller Risiken, ist sie doch das Ende der genetischen Gefangenschaft. Es ist das Prinzip der innigen Verbindung zweier ungleicher Partner, sei es bei den Atomen, den Molekülen, den Lebewesen und auch der Wahrnehmung, bei der sich die durch die Sinne hereinkommenden neutralen Daten mit den kognitiven Möglichkeiten und den Erwartungen des Lebewesens verbinden. Aus dieser nicht leicht aufzuklärenden

Mischung entsteht etwas Neues, das wir beim Menschen den Geist nennen, der sein Denken und Handeln bestimmt. Nein, der Geist fiel nicht vom Himmel.
 
Parmenides (um 540 – 480) beschreibt das schöpferische Prinzip in seinem Lehrgedicht über das Sein so: "Als ersten von allen Göttern ersann sie (die gebietende Göttin) den Eros." "Wenn Frau und Mann zusammen die Keime der Liebe mischen, formt die Kraft, die diese in den Adern aus verschiedenem Blute bildet, wohlgebaute Körper, wenn sie nur die Mischung bewahrt." "Wie der Nous (Geist) je die vielirrenden (unwissenden) Glieder gemischt sieht, so ist er den Menschen beigegeben: denn es ist immer dasselbe, was da als Art der Glieder auch in den Menschen sinnt: bei allem und jeden - das Mehr an Mischung nur ist ihnen Gedanke."

Diese hier nur teilweise wiedergegebenen Strophen gehören für mich zu den Schlüsselszenen seines Gedichts, da sie die das Prinzip des Schöpferischen beschreiben. In der englischen Metaphysik nennt man dieses "Emergenz", d.h. das "Auftauchen" neuer Eigenschaften aus dem Urgrund, die es zuvor nicht gegeben hat und die auch nicht direkt aus den beteiligten Partnern abgeleitet werden können. "Alle Anfänge liegen im Dunklen" wie man weiß, dem auch die Quantenphysik Rechnung tragen muss, wo man immer nur das Ergebnis aus Zustand und Messung erfährt, was den Deterministen gar nicht gefällt, weshalb es die Quantenphysik immer noch schwer hat, in ihrer vollen Bedeutung anerkannt zu werden  (wie getestet: selbst in der Heisenberg-Gesellschaft).

Legen wir also alle Denkzwänge ab und geben uns den Möglichkeiten des Seins offen hin.
"Und er wird sehen, dass derjenige, in dessen Geiste sich die Welt spiegelt, in einem Sinne so groß wird wie die Welt selbst. Frei von den Ängsten, die den Sklaven der Verhältnisse befallen, wird er echte Freude kennen und durch alle Wechselfälle seines äußeren Lebens hindurch in den Tiefen seines Wesens von Glück erfüllt bleiben."
(Bertrand Russel, 1872 - 1970: "Eroberung des Glücks")

Helmut Hille

Zum Weiterlesen:
WEGE DES DENKENS
II. Das Verhältnis von Denken und Sein
(II/5a) Parmenides im Klartext

http://www.helmut-hille.de/parmeni.html

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