museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2018
Goethe in Heilbronn
15.01.2018
Von Sinsheim im Westen kommend, hat Goethe am 27. August 1797 "um 6 Uhr" Heilbronn erreicht und ist im Gasthof Sonne abgestiegen, "ein schöner Gasthof und bequem, wenn er fertig seyn wird. Man ist stark im Bauen begriffen", wie er in seinem Reisetagebuch schreibt, dass wegen seiner vielen Aussagen zu Heilbronn hier nur stark gekürzt wiedergegeben werden kann. Am 28. August, seinem 48. Geburtstag, den er nicht erwähnte, hat er sich dann in Heilbronn kundig gemacht. Das beginnt mit der Besichtigung von Mauern und "sehr tiefen Gräben", die um die Stadt herum führen, "der alten Defension" ohne vorspringende Türme, ungeeignet um die Mauern verteidigen zu können. In der ca. 20 Zeilen langen Würdigung der Verteidigungsanlagen vergisst er auch nicht zuletzt zu erwähnen, dass die "Quaderstücke gut gefugt und in neueren Zeiten genau verstrichen sind." Sehr aufmerksam.
Wie er feststellte, ist "die Stadt in ihrer glücklichen Lage, ihrer schönen und fruchtbaren Gegend nach auf Garten-, Frucht- und Weinbau gegründet." "Da sie ziemlich auf der Pläne liegt, sind ihre Straßen nicht ängstlich, aber meist alt." "Die Hauptstraßen sind meistens rein, aber die kleinen, besonders nach den Mauern zu weniger: jedem kleinen Hausbesitzer zum Misthof dienend." Er bemerkt nur wenige Häuser aus Stein, zumeist "ganz schlicht". "Was öffentliche Gemeinde Anstalten betrifft, so scheint man in einer sehr frühen Zeit mit Mäßigkeit darauf bedacht gewesen zu seyn. Die alten Kirchen sind nicht groß, von außen einfach und ohne Zierrath, der Markt mäßig, das Rathaus nicht groß aber schicklich." Was die Kilianskirche am Markt betrifft, muss ich bezüglich der Größe für eine Stadt wie Heilbronn widersprechen, auch das alte Rathaus finde ich heute noch der Umgebung angemessen groß und schön. Die anderen Kirchen sind jedoch eher unauffällig.
Für Goethes weitere Tagebucheintragungen muss ich mich für eine Sentenz wirklich fast auf Stichworte beschränken, um die faszinierende Fülle seiner Beobachtungen innerhalb von 24 Stunden auch nur ahnen zu lassen. So fand er die Fleischbänke verlassen, dafür bei den Metzgern "in ihren in der Stadt verstreuten Häusern ihre Ware ausgelegt: ein böser und unreinlicher Mißbrauch." Danach, nach dem Lob des weißen Brotes, die Bemerkung, dass "Manns- und Frauenpersonen zwar ordentlich aber nicht modisch gekleidet sind." "Die Menschen sind durchaus höflich und zeigen ihrem Betragen eine gute natürliche stille bürgerliche Denkart." Aber auch: "Es werden keine Juden gelitten." Und dann das Manko: "Keine Beschreibung noch Plan von Heilbronn konnte ich erhalten", was wahrscheinlich mit der gerade durchgestandenen Kriegszeit zu tun hat, in der man sich besser bedeckt hält.
Bei der Quelle des Wohlstands und der Tugend der Stadtbürger wird auch noch erwähnt, dass weder Geistlichkeit noch Edelleute in früheren Zeiten großen Fuß in der Stadt hatten; wie die Schiffahrt am Neckar trotz der Dämme für Mühlen geregelt ist und Schiffe bei hohem Wasser 800 Centner tragen. Nach weiteren Bemerkungen zur Architektur seiner Herberge erwähnt er noch, dass an der Wirthstafel auch "noch der Oberamtmann von Meckmühl und seine Frauenzimmer speisten." War sicher recht unterhaltsam.
Am Abend des 28ten fuhr er "um 6 Uhr mit dem Bruder des Wirtes auf den Wartberg", der Heilbronn nach Norden abschirmt, und fand "die Sonne als eine bluthrote Scheibe in einem wahren Sirokoduft rechts von Wimpfen untergehen." Auch hier gute geographische Kenntnisse zeigend. Den Blick übers Land schweifend bemerkte Goethe "Alles was man übersieht ist fruchtbar", was vor Jahren für den Gemeinderat löblicher Anlass war, oben auf dem Wartberg neben der Aussichtsterrasse an Goethes Besuch erinnernd eine glänzende metallene Denktafel mit dieser Aussage samt Datum aufzustellen.
Nach Gedanken zur Viehhaltung und zu den Kosten einer Kuh und deren Stallfütterung, ging es Goethe noch um die Entwicklung und die Förderung des Bauwesens in Heilbronn "vor dem Kriege, durch kostenlose Anfuhr von Steinen und leicht verzinslichen Vorschuß." Da war sicher der Bruder des Wirths sein Gewährsmann. Zum Gemeinderat seiner Zeit bemerkte er: "Die Obrigkeit besteht aus lauter Protestanten und Studirten", die gut haushalten können, so dass sogar 140000 Gulden parat lagen, um die "Contribution der Franzosen zu begleichen, der sie glücklich entgangen ist." Detailreich beschrieben wird auch die verpachtete Holzschneidemühle der Stadt und wie deren Monopolstellung mit Hilfe der Flößer ausgeglichen wird, so dass "dieser Alleinhandel dem Bauen nicht hinderlich zu seyn scheint."
Goethe erwähnt noch das nahe bei Heilbronn gelegene Weinsberg mit der Burgruine Weibertreu (war er dort?), nicht aber, das oberhalb von Heilbronn im Stadtwald gelegene Jägerhaus, eine beliebte Ausflugsgaststätte. Doch im Faust heißt es am Beginn des Osterspaziergangs: "Einige Handwerksburschen: Warum denn dort hinaus? Andre: "Wir gehen hinaus aufs Jägerhaus." Wenn ich dort bin, muss ich oft an diese Stelle im Faust denken, wie überhaupt Goethe mir immer wieder nah ist. So habe ich gerade in den letzten Jahren seine "Italienische Reise" gelesen und im Kunsthandel dazu eine gute Wiedergabe des berühmten Bildes von Tischbein "Goethe in der Campagne" auf Leinwand mit Keilrahmen erworben und gut sichtbar aufgehängt.
Am 29. August 97 notierte er bereits in Ludwigsburg: "Von Heilbronn gegen 5 Uhr, vor Sonnen Aufgang fort." Zuerst fuhr er durch das jetzt zu Heilbronn gehörende südlich gelegene "deutschherrische Sontheim", wo ich seit vielen Jahre wohne, vorbei "an Schloß und Dorf Thalen" (Talheim). Hier wieder, wie schon bei seiner Anfahrt nach Heilbronn, auch noch eine Anmerkung zur Geologie machend: "Man findet den horizontalen Kalkstein wieder." Mit dieser kurzen Feststellung endet die Wiedergabe des Reisetagebuchs von Goethes Heilbronnbesuch von 1797 durch die Stadtbücherei Heilbronn.
Nachtrag: Goethes Mutter brachte die Neugier ihres Sohnes auf den Punkt: "Wenn mein Sohn von Frankfurt nach Mainz reist, so bringt er mehr Kenntnis heim als andere aus ganz Amerika."
Helmut Hille
Zur Erinnerung:
die Philosophische Sentenz vom Sept. 2013
»Goethe als Erkenntniskritiker«