museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2018
Mein Weltbild und das Yin-Yang-Prinzip
06.12.2018
Man denkt, es ist alles Wesentliche schon gesagt, da wird man auf neue Gesichtspunkte und Zusammenhänge gestoßen. Auf der DPG-Tagung 2018 in Würzburg habe ich der Sektion Materie und Kosmos vor 4 Fachverbänden meine Gedanken zur Einheit der Physik vorgetragen und hoffte, damit alles Wichtige zur Einheit gesagt zu haben, da hat mich ein Hörer auf das Yin-Yang-Prinzip der chinesischen Philosophie des Taoismus aufmerksam gemacht, das meine Gedanken zum Thema treffend zusammenfasst.
Das seit Milliarden von Jahren unbeirrte Kreisen der Planeten um die Sonne, was durch seine Dauer die Entwicklung des Leben hier auf der Erde erst ermöglicht hat, ist Folge der beiden gegensätzlichen Urkräfte, die in meiner Sicht beim Urknall unseres Kosmos zugleich entstanden sind und die seitdem miteinander ringen: die kosmischen Fliehkraft und die Schwerkraft. Während die kosmische Fliehkraft alle Materie vom Ort des Urknalls forttreibt, versucht die zu den Körpern gehörende Schwerkraft sie wieder zu vereinen. Wo beide Kräfte im Gleichgewicht sind, gibt es dauerhafte Planetensystemen, Galaxien und sehr alte Kugelsternhaufen. Ein solches Zusammenspiel gegensätzlicher Kräfte mit stabilen Ergebnis ist genau das, was die chinesische Philosophie des Taoismus mit dem Yin-Yang-Prinzip veranschaulichen will: es steht "für polar einander entgegengesetzte und dennoch aufeinander bezogene Kräfte oder Prinzipien" (Wikipedia). Im Lichte meiner Kosmologie muss ich sagen: wie Recht die Chinesen damit hatten und haben.
Das Yin-Yang-Prinzip gilt nicht nur materiell bei dem, was wir Kräfte nennen, sondern auch im Biologischen und Geistigen. Biologisch ist uns die Polarität des Weiblichen und Männlichen gut bekannt, deren Herausbildung die Vielfalt des Lebens ermöglicht hat. Im Geistigen wird sie von mir angemahnt und ich habe mit meiner Deutung der verschlüsselten Einleitung von Parmenides Lehrgedicht ein Beispiel gegeben. Auch hier hoffte ich mit dem Klartext der Einleitung das Wesentliche gesagt zu haben. Doch blieb die Frage, warum Parmenides auf dem Weg zur Erkenntnis, in Form einer namenlosen Göttin, nur weibliche Gottheiten und Kräfte zur Seite stehen und warum Goethe ganz am Schluss seines Faust den Chorus Mysticus ausrufen lässt "Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan", was sicher nichts mit Erotik zu tun hat. Es ist eben so, dass wir uns der Welt auf zweierlei Weise nähern können, nämlich der männlichen, nach außen auf Beherrschung drängenden Weise, die sich alles rücksichtslos
aneignen will und oft zerstörerisch wirkt, und auf dem weiblichen Weg der einfühlenden Hingabe aus Liebe, die zu einem innigen Verstehen des Gegenübers führt. Das beste Ergebnis wird allerdings dann erreicht, wenn zur weiblichen Intuition das kritische rechte Bedenken auf Grund abgeklärter Prinzipien dazu tritt, also die Vereinigung der weiblichen und der sublimierten männlichen Weise. Auf diesem Weg kommen wir sowohl zu einem innigen, als auch gerechten, nach Grundsätzen abgeklärten Verständnis der Dinge (aus WEGE DES DENKENS/Datei II/5a). Und die Verbindung beider Sichtweisen zu einem optimalen Verständnis der Welt ist eben wieder das, was Yin-Yang-Prinzip besagt.
Aber das Prinzip ist auch zuvor schon bei der Arbeitsweise des Gehirns selbst zu finden, dessen zwei Hälften um die Wahrheit von Aussagen ringen. Die Hirnforschung hat herausgefunden, dass die Erfahrung und das Wissen kompakt in der rechten Hirnhälfte gespeichert sind, während die linke Hälfte versucht, dieses Wissen in Sätzen nachvollziehbar zu formulieren. Sie ist also für das Denken und die Sprache zuständig. Das heißt, das Hirn ist ein selbstreferentielles System. Die "Wahrheit" einer Aussage bezieht sich dabei immer auf das jeweils gerade zur Verfügung stehende Wissen oder was aus ihm gefolgert werden kann, denn niemand wird doch ein ehrliches Urteil zu etwas abgeben können, von dem er nicht weis. In dieser meiner Sicht ist die sehr alte Frage "Was ist Wahrheit?" m.E. beantwortet, also auch hier mit dem, was das Yin-Yang-Prinzip besagt.
Dies sind in meinem Weltbild sicher nicht die einzigen Aussagen, auf die das Prinzip zutrifft, aber wohl die wichtigsten. Auch spirituell im Verhältnis von Zeit und Sein als die zwei Seiten einer Medaille lässt sich dieses Ringen um Verständnis bei mir allgemein finden. Dazu gehört für mich auch das Zusammenspiel von Unterbewussten und Bewusstsein, von zweien die eins sind, welches das geistige Leben ausmacht.
Helmut Hille
Zum Weiterlesen:
Die Waage der Welt