museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2011

Elle und Fuß und die unsinnige Jagd nach dem Urmeter

15.02.2011

Anmerkung zur ZDF-Sendung vom 27. Februar 2011 "Terra X: Die Jagd nach dem Urmeter"

Protagoras (480-410) Ausspruch "der Mensch ist das Maß aller Dinge" gilt auch gerade für die Entwicklung des Messwesens. So haben Menschen begonnen mit Körperteilen zu messen, z.B. mit Elle und Fuß, denn diese "Messinstrumente" haben sie ja immer dabei. Den Zeitpunkt einer Verabredung konnten man leicht mit der Länge des Schattens treffen, den man wirft, z.B: "vormittags bei 3 Fuß Länge am Brunnen". Da die Füße eines Menschen proportional seiner Größe sind, war diese Zeitpunktbestimmung meist ausreichend genau, vorausgesetzt die Sonne schien, weshalb sie wohl eher in südlichen Ländern praktiziert werden konnte. Im Handel kam es da schon auf größere Genauigkeit an, auch wenn man sich da noch mit seinem Unterarmknochen behelfen konnte. "3 Ellen Stoff" waren noch akzeptabel, wenn es um kleine Mengen ging und der Stoff nicht sehr teuer war.

Auf Dauer war das natürlich keine Lösung, weshalb schon frühe Gemeinschaften sich einheitliche Maße gaben, z.B. die Elle des Pharaos, die man an einer bestimmten Statue von ihm abnehmen konnte. Oder Städte brachten an ihren Rathäusern verbindliche Längen- und Flächenmaße an. Aber natürlich war das dann auch wieder von Stadt zu Stadt verschieden, weshalb Streit dann unvermeidbar und der Handel sehr beeinträchtigt war. So gab es in Frankreich zum Zeitpunkt der Revolution Tausende verschiedene Maßeinheiten für Längen und Gewichte, weshalb die Akademie der Wissenschaften 1792 von der Nationalversammlung den Auftrag erhielt, einheitliche Maße festzulegen, mit dem Meter als Grundlage. Statt aber nun einfach zu sagen, dass ist das Meter, z.B. das von Paris, wie ein kluger Offizier vorschlug, oder überhaupt eine beliebige Länge, werden Maße doch vom Menschen gesetzt, wie schon Protagoras sagte, wollte man, wie man meinte, eine objektive Länge als Grundlage haben, damit diese auch von den anderen Staaten akzeptiert werden konnte.

Die Grundlage sollte der zehnmillionste Teil eines Erdquadranten sein, also die Entfernung vom Pol bis zum Äquator, die jedoch gar nicht bekannt war. Eine Expedition zweier Akademiemitglieder sollte sie anhand des Meridians von Dünkirchen bis Barcelona herausfinden. Infolge von Krieg und Revolution dauerte die Expedition 7 harte Jahre, was man in Paris mit einem einzigen Entschluss hätte festlegen können, doch kein Mitglied der Findungskommission wollte dafür die Verantwortung übernehmen. Heute weiß man auch dank GPS, dass die Erde infolge der ungleichen Verteilung der Erdmasse keineswegs eine ideale Form hat, so dass es sich bei den 10.000 km der Länge des Erdquadranten sowieso nur um eine Annäherung

handelt. Die Menschheit besitzt in der Gegenwart dank der Wissenschaft und des globalen Gedankenaustauschs ein immenses Wissen, doch über ihre eigene Rolle in allem Wahrnehmen, Denken, Reden und Tun kann sie sich immer noch zu wenig Rechenschaft geben. Der Sprecher des DIN-Ausschusses für Einheiten und Formelgrößen (AEF) schrieb mir, dass keine Aussicht besteht, dass sich die Mitglieder einigen, was überhaupt eine physikalische Größe ist. Die einen halten Messgrößen und ihre Einheiten noch immer für eine Sache, die es da draußen irgendwo zu finden gilt wie seinerzeit in Paris, die anderen wissen mehr oder weniger deutlich, dass es sich bei Merkmalen um Aspekte handelt, die der Mensch an die Dinge heranträgt, um mit ihnen in vertrauter Weise umgehen zu können

Protagoras Ausspruch, sein sog. Homomensurasatz, "Der Mensch ist (sich) das Maß aller Dinge, der seienden, dass sie sind, (was sie für ihn sind), der nichtseienden, dass sie (für ihn) nicht sind." (Klammerausdrücke vom Autor) ist - eine nüchterne Wahrheit, die wegen ihrer Ehrlichkeit alle angeblich so besorgten Bedenkenträger seit Platon bis heute noch immer aufheulen lässt, weil sie in ihrem Objektivitätswahn sich nicht eingestehen wollen, dass der Mensch in geistiger Souveränität sich Maße setzt, wie er sie braucht, wie die Geschichte des Messwesens eindeutig belegt.

Die Situation im AEF ist Spiegel dessen, dass es heute mehr denn je eine starke Fraktion der Physiker gibt, die von einer Rolle des Beobachters und damit des Geistigen nichts wissen will, einerseits weil sie keinen Zugang zu ihr findet, andererseits weil ihr aus reduktionistischen Gründen alles Geistige sowieso weiter nichts als eine Illusion ist - von der sie jedoch leben! Sie da aufzuklären ist kaum möglich. Doch muss man es immer wieder versuchen in der Hoffnung, dass nachwachsende Generationen es vielleicht doch einmal besser wissen wollen. So müsste einige von ihnen nicht weiterhin, wie einst die Schildbürger, die das Licht in Säcke einfangen wollte, draußen mit einer Uhr in der Hand herumlaufen, um die für jede Geschwindigkeit "wahre" Systemzeit "zu messen". Aber Uhren messen nicht, sondern geben nur Zeitpunkte. Messgrößen und ihre Einheiten sind keine Frage der Wahrheit sondern der Gültigkeit und in Normblättern und internationalern Konventionen zu finden, wie der Meterkonvention, gleich wie man das Meter aktuell definiert, sowie als Referenznormale in Bureaus of Standards und in den Eichämtern – sonst aber nirgends!

http://www.helmut-hille.de/messenal.html

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