museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2003
Die Macht des Unsichtbaren
15.08.2003
Der Physiker und Erkenntnistheoretiker Ernst Mach (1838-1916), auf den sich heute noch viele seiner Kollegen berufen, hielten es ja für richtig und klug, nicht der Vernunft, sondern nur dem Sichtbaren zu trauen, weshalb er bekanntlich die Atomidee heftig ablehnte. Als der Chemiker und Mikrobiologe Louis Pasteur (1822-1895) sagte, dass Bakterienkeime durch die Luft übertragen werden und man sich daher schützen müsste, wurde er von seinen Kollegen verlacht und angegriffen, die lieber mit Aristoteles glauben wollten, dass Krankheiten "spontan" im Schmutz entstehen, weil die Keime ja zu klein sind, um gesehen zu werden. Aber auch die Kraft, die Körper "schwer" macht, entzieht sich selbst den leistungsfähigsten Mikroskopen. Doch wäre es auch hier dumm, die Macht des Unsichtbaren zu ignorieren, wie überhaupt jeder dogmatische Standpunkt die Menschen nur dumm macht.
Inzwischen ist ja allgemein akzeptiert, dass nicht die Sonne und die Sterne um die Erde kreisen, wie es den Augenschein hat, sondern die Erde sich um ihre eigene Achse dreht und dabei den Bewegungseindruck erzeugt. Aber an Himmelskörper, die sich von der Erde mit Überlichtgeschwindigkeit entfernen und die für uns daher hinter einem Lichthorizont liegen, wollen manche "Forscher" noch immer nicht glauben, weil Einstein, ein Anhänger Machs, gesagt hat, dass nichts schneller als das Licht sein kann, obgleich nun wirklich nicht einzusehen ist, was die Expansion des Universums mit unserem zufälligen Standpunkt "Erde" zu tun hat, die ja noch dazu mit der Sonne um die eigene Galaxie wirbelt.
Dabei können wir z.B. östlich von uns gelegene Galaxien sehen, die für die Bewohner von westlich von uns gelegenen Galaxien hinter dem Lichthorizont liegen, weil sich ihre und unsere Galaxie zwischen der halben bis annähernd Lichtgeschwindigkeit voneinander entfernen, wodurch sich durch Addition beider Fluchtgeschwindigkeiten eine Überlichtgeschwindigkeit ergibt. Man sollte also im Laufe des Lebens gelernt haben, dass hinterm Berg auch noch Leute wohnen, auch wenn man sie nicht sieht, und dass kein Horizont eine objektive Grenze, sondern nur die einzig mit uns verbundene Grenze ist. Es lässt sich eben oft nicht vermeiden, die Vernunft zu gebrauchen, will man sich nicht zum Narren machen, auch wenn Empiriker das nicht so gern hören und lieber den Augenschein trauen wollen, – der aber eben nur ein "Schein" ist.
Und der Schein ist es, der aufgeklärt gehört, wie es Kopernikus getan hat! In seinem berühmten Abendlied schrieb dazu Matthias Claudius:
"Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehen."
"Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste
Und suchen viele Künste
Und kommen weiter von dem Ziel."
Wenn wir die hier erwähnten Fälle bedenken und ferner berücksichtigen, welche Macht von Gefühlen und Ideen ausgeht, man denke nur an die Macht der Liebe oder an die Idee der Freiheit, die auch noch niemand zu Gesicht bekommen hat, muss man eher sagen, dass das Sichtbare seinen Ursprung im Unsichtbaren hat und die Macht des Sichtbaren auf der Macht des Unsichtbaren beruht, sei dieses nur für das gewöhnliche Auge unsichtbar, sei es, weil es (vorerst) hinter unserem Horizont liegt, oder sei es auch prinzipiell unsichtbar, wie die Schwerkraft, die Gefühle und der Ursprung aller Dinge.
Zum Weiterlesen: Helmut Hille: " EPPUR SI MUOVE" – "Und sie bewegt sich doch!" auf