museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2004

Der Ursprung der Ideen

15.04.2004

Während die Entstehung der gesprochenen Sprache durch evolutionäre Schritte plausibel gemacht werden kann (s. meine philosophische Sentenz des Vormonats), bleibt die Frage, woher die Ideen kommen, z.B. die Idee der Freiheit oder der sozialen Gerechtigkeit, die ja immer dann am meisten bemüht werden, wenn die Verhältnisse gerade nicht so sind. Platon meinte, Ideen gäbe es schon ewig in einem Ideenhimmel und die genau so ewige Seele würde sich ihrer erinnern - d.h. Platon wusste es auch nicht, hatte nur eine phantasiereiche Hypothese, die mehr Fragen aufwarf, als sie löste. Im "fortschrittlichen" Zeitalter des Materialismus, der alles Geistige auf Materielles reduzieren wollte, hieß es dagegen, das Sein bestimmt das Bewusstsein (Marx). Ideen wären also nur Abbilder der Wirklichkeit, vielleicht im Laufe der Zeit in das Gehirn hineindiffundiert.

Doch wie könnten dann Unfreie zur Idee der Freiheit kommen? Ist es nicht eher so, dass wir zuerst die Idee von Zuständen haben müssen, um Zustände entsprechend bewerten zu können? Ideen sind (ebenso wie Theorien) originäre Leistungen des menschlichen Geistes, die er an die Welt heranträgt und probiert, inwieweit sie ihm bei der Lösung seiner Probleme behilflich sind. Der Umgang mit Ideen ist es, der menschliche Geistigkeit ausmacht. Das Vorhandensein von Ideen beweist aber noch nichts über die Existenz ihres Inhalts – sondern nur die Existenz der Geistigkeit selbst. Und das ist dann die Gefahr, die von Ideen ausgeht, wenn wir unkritisch mit ihnen umgehen: wenn wir sie für die Wirklichkeit oder wie Materialisten ein Abbild von ihr halten und alles Denken und Urteilen an einer (fixen) Idee ausrichten, wie es die Ideologen tun, die dann regelmäßig an der Wirklichkeit scheitern, sobald sie ins Politische gehen.

Vorher scheitern sie leider meist nicht, denn "mit Worten lässt sich trefflich streiten, mit Worten ein System bereiten." (Faust) Aber gerade wenn alles so einfach und überzeugend klingt, was einer vorträgt, kann es sein, dass wir genau dann von einer Idee verführt werden und in der Gefahr stehen abzuheben.

Aber es gibt kein vorherbestimmtes Verhältnis von Idee und Wirklichkeit, weil Ideen und Theorien reine Schöpfungen des Geistes sind, der – als Fortsetzung der Evolution auf einer neuen Ebene –, immer wieder Neues hervorbringt, das sich an der gelebten Wirklichkeit erst bewähren muss.

Ideen so anzusehen heißt, sowohl ihnen gerecht zu werden, als auch die Gefahren zu bannen, die von ihnen ausgehen. Der menschliche Geist kann auf sie nicht verzichten, will er sich über die Niederungen körperlicher Abhängigkeiten erheben, aber er darf sie auch nicht überschätzen, sind ihre "Wahrheiten" doch Wahrheiten aus zweiter Hand, über die ihm immer die Wahrheiten des Lebens stehen sollten.

 

Zum Weiterlesen:
W. Dittrich: "Das Natürliche des Nichtverstehens" auf 

http://www.helmut-hille.de/dasnat.html

 oder

"Welche Wahrheit hätten Sie denn gern?" auf

http://www.helmut-hille-philosophie.de/wahrheit.html

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