museumsart Kolumne
Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2004
Venus vor Sonne
15.06.2004
Als es am Vormittag des 11. August 1999 hier in Heilbronn wie in weiteren Gebieten Mitteleuropas dunkel wurde, weil der Mond die Sonnenscheibe verdeckte, konnte ich dank Wolkenlücken und einer Sonne-Sicht-Brille im Park auf einer Bank sitzend das seltene Ereignis gut verfolgen. Diese Sonne-Sicht-Brille hatte ich mir aufgehoben, vielleicht um einmal nach Sonnenflecken Ausschau zu halten, und so war es mir möglich, am 8. Mai den Venustransit direkt von meinem Dachfenster im Bad aus zu beobachten. Wie für viele andere Menschen auch, war dies für mich ein besonderes Ereignis meines Lebens. Nicht nur weil die Venus im Mittel nur alle 120 Jahre in unserer Perspektive über die Sonne zieht, sondern weil ich sie nun direkt als einen Schwesterplaneten der Erde ihre Bahn ziehend sehen konnte. Als jemand, der sich zwar sehr für den Aufbau der kosmischen Ordnung und die sie bewirkenden Kräfte interessiert, doch eigentlich nie durch ein Teleskop schaut, vermittelte mir der Transit eine ungewohnte Nähe der Venus, die mich tief berührte. Venus- und Erdbahn sind ja in der Tat sich am nächsten, während die Bahn des Mars fast zweimal so weit von der Erde entfernt ist. Und es kommt ja nur dann zu einem Transit, wenn Venus und Erde in der "unteren Konjunktion" sind, d.h. wenn sie auf einer Linie zur Sonne stehen und sich damit wirklich am nächsten sind. So bin ich froh, durch den Vorbeiflug unserer Schwester vor der Sonnenscheibe sie einmal direkt gesehen und wahr genommen zu haben. (Am 6. Juni 2012 wird sie in Mittel- und Südosteuropa noch einmal kurz in der Frühe zu sehen sein, dann erst wieder Dezember 2117, am europäischen Himmel sogar erst im Dezember 2125.)
2005 jedoch ist für die Physiker ein besonderes Jahr, nämlich der 100. Geburtstag von Einsteins Spezieller Relativitätstheorie. Der wissenschaftstheoretische Hintergrund ihrer Entstehung ist die neopositivistische Lehre Machs, die Ursachen und damit auch die Rede von "Kräften" ablehnte, weil sie "metaphysisch" wären. So versuchte Einstein ohne den Kraftbegriff auszukommen und er entwickelte die Newtonsche Dynamik zur Kinematik zurück, wodurch nun alles "relativ" wurde und Verständnis und Wissen verloren ging. Es ist also jetzt ebenso richtig zu sagen, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt, wie der Hund mit dem Schwanz.
Dementsprechend heißt es im Buch des Nobelpreisträgers und Einsteinfreundes und –förderers Max Born "Die Relativitätstheorie Einsteins" auch folgerichtig "Damit ist die Rückkehr zu des PTOLEMÄUS Standpunkt der 'ruhenden Erde' ins Belieben gestellt. Daher haben von EINSTEINS Standpunkt gesehen PTOLEMÄUS und KOPERNIKUS gleiches Recht. Welchen Ausgangspunkt man wählt, ist Sache der Bequemlichkeit." Es stände also in unserem "Belieben" und es wäre eine "Sache der Bequemlichkeit", ob wir annehmen, die Erde dreht sich um ihre Achse oder das Universum kreist um die Erde, obwohl es außer dem Augenschein dafür keine physikalischen Gründe gibt.
Die Physiker sind ob dieser genialen Wissensvernichtung immer noch begeistert, weshalb sie Einstein auch groß feiern werden. Ich würde mir wünschen, sie hätten beobachtet, wie die Venus an der Sonne – ebenso wie ihr Schwesterplanet Erde – an dieser vorbeizieht, um der Beliebigkeit von Annahmen ein Ende zu machen. Aber wenn man sie darob zur Rede stellen würde, wird sicher ein Schlaumeier antworten, wir könnten genauso richtig sagen, dass wir nur die Sonne an der Venus haben vorbeiziehen sehen. Bedenkt man aber die uns heute bekannte Größe des Universums dann müssten die fernen Galaxien mit unvorstellbarer Geschwindigkeit unterwegs sein, um jeden Tag die Erde umkreisen zu können, müssten doch schon Pluto, der äußerste Planet des Sonnensystems, dies mit Überlichtgeschwindigkeit tun, die es ja angeblich nicht gibt. Als redlich denkender Mensch und nicht erst als Philosoph kann man hier nur an die Vernunft der Wissenschaftler appellieren, geistig souverän solche Gedankenspielereien endlich zu den Akten zu legen, was dann wirklich ein Grund zum Feiern wäre.
Zum Weiterlesen:
"Prolog im Himmel" auf