museumsart Kolumne

Helmut Hille
Philosophische Sentenzen 2004

Projekt Zukunft - Die Schwierigkeit, über sich hinaus zu denken

15.07.2004

Des griechischen Philosophen Protagoras (480-410) berühmtester Ausspruch "Der Mensch ist (sich) das Maß aller Dinge? " spricht das Problem an, mit dem der Mensch zu kämpfen hat: seine Schwierigkeit, über sich hinaus denken zu können. Das Problem hat zwei Ursachen: einmal den Zwang des Einzelnen, sich auf den eigenen Überlebenskampf zu konzentrieren, sodann das Fehlen eines objektiven Wissens. Wenn jedoch der Einzelne erkennt, dass er ökonomisch, geistig und kulturell auf andere Menschen angewiesen ist und sich darauf einstellt, beginnt er über sich hinaus zu denken. Heute, im globalen Zeitalter, müsste er dazu global denken, also bedenken, wie sich seine Handlungen global auswirken.

Aber selbst ein globales Denken wäre heute in Anbetracht der Mächtigkeit der Menschheit zu wenig, denn der Mensch ist nicht nur Mitglied einer menschlichen Gruppe bzw. der Menschheit, sondern er ist auch auf Gedeih und Verderb Mitglied des Ökosystems Erde, eine Erkenntnis, die es wegen des eigenen Egoismus und des Gruppenegoismus immer noch schwer hat, akzeptiert zu werden, zumal Politiker geneigt sind, nur den eigenen Machterhalt in den Mittelpunkt ihres Denkens und Tuns zu stellen. Es ist also heute nicht mehr mit einer Ethik getan, die allein das menschliche Wohl zum Gegenstand hat, sondern die das Ganze bedenken muss: der Mensch in seinem Eingebundesein in dieses Ganze und seine Wirkungen auf das Ganze, das ja kein starres Ganzes sondern ein sich stetig wandelndes Ganzes ist. Der heutige Mensch muss also nicht nur räumlich über sich hinaus denken, sondern auch gerade zeitlich. Nur wenn er die

Auswirkungen seines gegenwärtigen Verhaltens für das Ökosystem Erde und dessen Zukunft bedenkt, wird er eine Zukunft haben, die nicht durch Katastrophen bestimmt wird. Die Schwierigkeit, über sich hinaus zu denken, besteht jedoch nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wissenschaft, in der es ebenfalls in jeder Beziehung "menschelt". Auch in ihr geht es sowohl um den Autoritätserhalt Einzelner, als auch der durch Paradigmen verbundenen Gruppen durch die Verteidigung der eigenen Position bzw. des vertretenen Paradigmas um (fast) jeden Preis.

Hier sollte sich der Laie keiner Illusion hingeben. Es ist die subversive Eigenart von Paradigmen, sich nicht selbst zu thematisieren, sondern sich als ganz "natürlich" und "objektiv gegeben" hinzustellen, weshalb sie so schwer auszumachen und zu durchschauen sind. Aber auch in der Wissenschaft muss es mehr denn je darum gehen, den eigenen Standpunkt und die eigene Disziplin zu transzendieren, soll sie zukunftsfähiger werden. Das PROJEKT ZUKUNFT sei das wichtigste Projekt der Menschheit, aber es ist eben auch das Schwierigste, weil es ja gilt, über den eigenen vertrauten Horizont hinaus zu denken.

 

Zum Weiterlesen:
"Geistige Grenzen überwinden – gerade in der Ethik" auf 

 

http://www.helmut-hille-philosophie.de/ethik.html

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